„Die Büchse der Pandora wurde gerade erst geöffnet“ Galerist Christoph Tornow im Interview

13. Januar 2017
16 mins read

2006 eröffnete Christoph Tornow die Vicious Gallery. Vor knapp zwei Jahren kehrte der Hamburger Galerist nach einer längeren Pause mit der Eröffnung der Golden Hands Gallery wieder zurück in die Welt der Urban Art. Wir haben uns mit Christoph Tornow in einem ausführlichen Gespräch über Graffiti, den Kunststandort Hamburg, das Geschäft mit der Kunst und das Künstlerduo Moses & Taps unterhalten.
urbanshit: Christoph, du bist schon länger in der Hamburger Kunstszene aktiv. 2006 hast du die Vicious Gallery gegründet. Was hat dich damals dazu bewogen eine Galerie aufzumachen?

Christoph Tornow: Die Idee, eine Galerie in Hamburg zu gründen, trug ich sicher fünf Jahre vorher mit mir herum, bevor ich sie in die Tat umgesetzt habe. Natürlich war es am Anfang eher so, dass es vage Gedanken waren, wie in etwa “das würde ich gerne machen; das könnte hier auch funktionieren; vielleicht entdecke ich den nächsten großen Banksy”. Das sind so Gedanken die jeder so vielleicht schon mal hatte, wie zum Beispiel ich möchte ein mal ein Restaurant oder eine Kneipe haben. Wer gerne isst möchte ein Restaurant haben, wer gerne trinkt möchte eine Kneipe haben, wer gerne Kunst mag, möchte dann eben eine Galerie haben. Aber erst nach und nach haben sich die Gedanken dahingehend gefestigt, wie das ganze konkret aussehen könnte und vor allem wie so etwas in der Realität umzusetzen wäre. Man muss dazu sagen, dass die damalige Ausgangslage war, dass ich gerade mit dem Medizinstudium fertig war, ich meine erste Festanstellung mit einem geregelten Einkommen hatte und zu dem Zeitpunkt frei und ungebunden war. In dieser Konstellation habe ich mich dann getraut zunächst einmal den Plan zu schmieden. In einem guten halben Jahr bevor ich die Galerie eröffnet habe, hat sich bei mir im Kopf der Gedanke soweit ausgearbeitet, dass ich gedacht habe “jetzt mache ich das einfach”.

„Das schizophrene an Graffiti ist, dass die Writer aus der Gesellschaft ausbrechen wollen, am Ende aber in einem neuen Mikro-Kosmos landen.“

Ich habe damals in der Schanze gewohnt, dass Budget war knapp und ich habe zunächst einmal eine Fläche gesucht, die gewisse Eigenschaften hatte, die ich mir für eine Galerie vorgestellt hatte. Die Galerie sollte in der Schanze sein, ich brauchte eine bestimmte Fläche und wollte Schaufenster haben, die eine Mindestgröße hatten. Außerdem träumte ich damals von einem White-Cube-Konzept, d.h. der Raum sollte so übersichtlich wie möglich sein und auch möglichst weiß. Und dann habe ich eine Fläche gefunden und es ging los. Dazu muss man sagen, dass ich ein Optimist bin und wusste, dass ich zu diesem Zeitpunkt gewisse Dinge nicht zu Ende gedacht hatte. Ich hatte zum Beispiel unterschätzt, dass ich auch Lagerfläche brauchte. Zudem hatte ich gar keine Idee, wer die Galerie eigentlich hüten soll, wenn ich die ganze Zeit arbeite. Ich hatte mir ausgedacht, dass ich 3 bis 4 mal die Woche, 2 bis 3 Stunden schon hinkriege. Relativ schnell bin ich hier jedoch an meine Grenzen gestoßen und habe gemerkt, dass ich auch gar nicht richtig verfügbar und erreichbar genug bin, um eine Galerie zu führen, so dass ich meinem Freund Daniel anbot mit einzusteigen – zunächst einmal unentgeltlich und ohne konkrete Absprache, wohin die Reise führen sollte, hütete er aushilfsweise die Galerie. Nach 2 bis 3 Monaten kam dann das unausweichliche Gespräch, wie es denn weitergehen sollte und ob ich ihn dafür bezahlen könne. Da ich das damals nicht konnte, auch weil die Einnahmen zu Beginn noch überschaubar waren, sind wir dann Partner geworden.

US: Ihr habt bereits damals mit einigen Künstlern zusammengearbeitet, die zu der Zeit noch klein und heute eine größere Nummer sind. Was hat euch dazu bewegt das Geschäft aufzugeben?

CT: Zwischenzeitlich hatten wir einen dritten Partner und eine Randfigur mit in der Galerie. Wir waren also 3 ½ Personen, die die Galerie betrieben haben und wir sind auch alle, dass muss man so sagen, letztlich an den Fehlern die wir gemacht hatten, gescheitert. Ich versuche das immer so zu beschreiben wie eine Schraube, die man so fest gedreht hat, dass man sie weder in die eine noch in die andere Richtung drehen kann. Das heißt zu dem Zeitpunkt gab es eigentlich aus meiner Sicht nur zwei Möglichkeiten. Entweder alles auf links drehen und dann nochmal alles neu aufbauen oder alles platt machen. Dann habe ich mich einfach entschieden auszusteigen, denn es fehlte allen der Wille, die Kraft und die Einigkeit, es noch einmal zu drehen. Ich muss zugeben, dass damals natürlich noch tief in mir ein Flämmchen für die Galerie loderte, aber ich habe mich dann damals tatsächlich entschieden mich erstmal bis auf weiteres von dem Thema Galerie zu verabschieden, zumal ich andere Aufgabenbereiche hatte. Meine Tochter war gerade geboren und mein Job in der Medizin hat sich aus dem Krankenhaus in die Selbständigkeit mit operativer Tätigkeit gewandelt, so dass ich voll ausgelastet war und auch gut auf eine problembehaftete Galerie verzichten konnte.

US: In der ähnlichen Zeit haben noch mehr Galerien aus dem Bereich Urban Art in der Stadt dicht gemacht. Hast du das Gefühl, dass Hamburg damals den Anschluss an andere Städte verloren hat?

CT: Ich muss sagen – auch wenn ich das Gefühl habe, dass wir eine tolle Galerie hatten –, dass ich nicht den Anspruch habe, die kulturelle Szene in so einem Umfang geprägt zu haben, dass unser Wegfall ein so großes Loch in die Stadt gerissen hat. Was unsere Galerie tatsächlich für eine Bedeutung hatte kann ich nicht sagen. Ich kann sagen, dass ich das Leben als vergänglich begreife und ich bin niemand, der Dingen die waren so sehr nachtrauert. Ich kann mit Dingen abschließen und es war eine gute Zeit, die ich mit einem gewissen Abstand, auch als überwiegend positiv betrachte. Da wir hier in einer neuen Galerie sitzen, fühle ich mich bestätigt, dass solange du nicht tot bist, das Leben immer wieder neue Chancen bietet. Auch wenn das hier jetzt gerade alles sehr gut läuft, bin ich manchmal lieber ein oder zweimal am Fallen, um danach wieder aufzustehen. Den Wert meiner oder unserer Arbeit zu bewerten, überlasse ich Dritten.

US: Etwas allgemeiner gefragt: Hast du das Gefühl, dass Hamburg mit anderen Städten wie Berlin, Paris oder London mithalten kann im Bereich Urban Art?

CT: Auf gar keinen Fall. Das ist ein strukturelles Problem. Das kann man recht einfach an gewissen Parameter ausmachen: Größe und Situation. Das bedeutet: Menschen die in eine Stadt ziehen, Menschen die dort hinreisen und Urlaub machen, Übernachtungszahlen etc. Und es gibt auch Gründe, warum Menschen diese Städte bereisen. Paris, Berlin, London oder New York werden traditionell von Kunst-Affinen bereist. Hamburg hat nicht diesen Ruf.

„Es gibt hier Dinge, die mehr im Vordergrund stehen als Kunst. Hamburg ist definitiv keine Kunstmetropole.“

Sicherlich hat auch Hamburg steigende Übernachtungszahlen pro Jahr, das sind dann aber die, die den Hafen sehen wollen oder die Musicals, den Michel oder den Kiez. Es gibt hier Dinge, die mehr im Vordergrund stehen als Kunst. Hamburg ist definitiv keine Kunstmetropole. Sicherlich hat Hamburg eine überschaubare Kunstszene, aber selbst im Vergleich mit Köln kann Hamburg sich nicht messen. Dann haben wir noch andere Städte in Europa, wie Basel, London oder Paris. Hamburg ist meines Erachtens ein sehr schwieriger Standort, aber letztendlich wollte ich nicht meine Galerie nach dem Standort wählen, sondern die Galerie musste dort stattfinden, wo ich meinen Lebensmittelpunkt habe. Wenn das in Lübeck gewesen wäre hätte ich wahrscheinlich die Galerie dort gemacht. Man muss aber auch begreifen, dass einem das Umfeld auch die Grenzen aufzeigt. Wenn man eben in Hamburg eine Galerie hat, sollte man sich nicht  mit einer Galerie in New York vergleichen. Vielleicht kämpft man einfach in einer anderen Gewichtsklasse und so sollte man auch die Kirche im Dorf lassen. Natürlich hat man mittlerweile durch das Internet eine globalisierte Kunstszene, aber ich denke das der physische Standort immer noch ein gewisses Gewicht hat, dass nicht zu unterschätzen ist.

US: Nach einer längeren Pause als Galerist hast du mit deiner Lebensgefährtin Isabella vor knapp 2 Jahren die Golden Hands Gallery eröffnet. Was hat dich dazu bewogen wieder eine Galerie aufzumachen?

CT: Die Leidenschaft war der Hauptantrieb. Es macht mir einfach Spaß. Ich bewege mich wirklich gerne in diesem Umfeld. Ich möchte einfach Kunst um mich herum haben und die Menschen, die sich dafür interessieren. Ich mag Künstler, ich mag diesen Lebensstil, der auch in einem krassen Kontrast zu meinen Job als Augenchirurg steht. Letztendlich muss man sagen, dass diese Mischung das Leben für mich besonders lebenswert macht, da zwei relativ extreme Pole aufeinander treffen. Ich hab auch gesehen, dass sowohl das eine, wie auch das andere für mich einfach zu eindimensional wäre. Die Kunstwelt mag manchmal zu verrückt sein. Das Operieren dagegen ist manchmal zu hart, zu straight, zu korrekt. Dann ist natürlich der nächste Faktor, dass ich immer noch daran glaube, dass man irgendwann wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Ich bin ja in erster Linie Kunsthändler, erst dann Kurator oder Sammler. Als Kunsthändler muss ich einfach davon überzeugt sein, dass ich mich hier in ein Geschäftsfeld begebe, dass auch wirtschaftlich zu nutzen ist und diesen Glauben habe ich eigentlich nie verloren und in gewissen Situationen auch bewiesen. Gute Verkäufe bestätigen das und wir hatten und haben diese sowohl in der alten Galerie, wie auch in der neuen. Kann natürlich immer besser sein, aber zumindest ist es nicht so, dass jetzt irgendwie die ganze Zeit saure Kirschenzeit ist.

Dann ist es aber auch so, dass ich noch eine Rechnung mit diesem Thema offen hatte. Das wurde mir klar in der Zeit wo ich keine Galerie hatte, dass ich irgendwie ein “unfinished business” habe. So alt bin ich noch gar nicht und ich hatte immer das Gefühl, dass ich dieses Thema noch nicht abschließen kann. Auch wenn ich im Großen und Ganzen damit zufrieden war was ich tat und hatte, hatte ich immer das Gefühl, dass noch mehr gehen könnte. Ich hatte 3 ½ Jahre Zeit in mich zu kehren und mich zu sortieren und den Fragen nachzugehen: Was war richtig, was war falsch, welche Fehler habe ich gemacht? Vor allem habe ich aber nicht danach gesucht, welche Fehler die anderen gemacht haben. Ich habe ganz klar die Fehler gesucht, die ich gemacht habe, in der Hoffnung sie zu analysieren und in Zukunft zu vermeiden. Ich glaube Fehler sind extrem wichtig und in gewisser Weise lehrreich und heilend, wenn man nicht so doof ist, dass man resistent dagegen ist, sie bei sich zu suchen, zu finden und zu verarbeiten. Es ist einfach wichtig, dass man begreift wo man Fehler gemacht hat. Ein Fehler war, dass wir zu viele Ausstellungen pro Jahr hatten. 8, 9, 10 Ausstellungen im Jahr kann man nicht vorbereiten, nicht handhaben, kann man nicht nachbearbeiten. Ein großer Fehler war auch die Idee, die Künstler komplett aufbauen zu wollen. Das halte ich für fast unmöglich. Wenn man Künstler aufbauen will, wird man Manager. Dann kann man sich auch voll um sie kümmern und hat ein, zwei, drei Künstler. Der Galerist ist meines Erachtens nur bedingt dazu da, die Karriere aufzubauen. Er kann in seinem Wirkungskreis natürlich dafür sorgen, aber der Wirkungskreis ist beschränkt. Letztendlich muss man diese Dinge begreifen und dann kann man auch viel besser mit den Künstlern kommunizieren und abstimmen, wo eigentlich die gemeinsame geschäftliche Basis stattfinden kann. Alleine dafür braucht man einfach ein paar Jahre, viele Ausstellungen und viele Situationen um festzustellen, wie es geht. Zudem musste ich menschlich viel lernen, wie dieses Geschäft läuft. Das es am Ende des Tages ein Geschäft ist und Sympathien und Antipathien gar nicht so wichtig sind, sondern genauso wie in anderen Geschäftsfelder halt einfach die wirtschaftliche Basis entscheidet, wer mit wem arbeitet und wer zusammen bleibt und sich voneinander trennt. Gerade am Anfang der ersten Galerie war ich eben noch sehr jung, und wir haben teilweise in unserer Naivität ein zu großes Augenmerk auf Sympathien und weitere Dinge gelegt. Heute sind wir eher an den harten Dingen interessiert, das heißt hier schauen wir auf die Fakten. Es ist ein Business. Hier läuft es einfach auf einer viel professionelleren und viel strukturierteren Ebene ab. Faktisch ist das meines Erachtens auch das, was der Markt, und der strategische Kunstkäufer erwartet. Man möchte einfach auch in einer Galerie einkaufen, wo dem Käufer letztendlich auch mit Professionalität begegnet wird, weil wir dann doch schon über gewisse Summen reden, die auch nicht aus dem Fenster geschmissen werden sollen.

US: Das beantwortet im Prinzip die nächste Frage. Ich stelle sie aber trotzdem. Was ist an der neuen Galerie anders als der alten?

CT: Man kann sagen, dass die erste Galerie so eine Art experimentelles Labor war, wo wir halt viel jugendliche Leichtsinnsfehler gemacht haben. Ein Labor, in dem wir auch teilweise sehr unprofessionell vorgegangen sind. In dem Sinne, dass wir teilweise mit Leuten zusammen gearbeitet haben – die sich jetzt hoffentlich nicht beleidigt fühlen, aber die wissen es schon. Ich sage mal Leute, die einen künstlerischen Touch hatten, die aber nicht wussten, dass sie Künstler werden wollten und da haben wir einfach auf einer anderen Basis gearbeitet. Jetzt arbeiten wir nur noch mit Profis zusammen. Wer seine Steuern nicht als Künstler zahlt, kann hier nicht ausstellen. Das muss man so sagen. Wir wollen einfach Leute haben, die in ihrer Steuererklärung Künstler als Beruf stehen haben. So einfach. Es kommt immer auf eine professionelle Ebene an. Ich habe nichts gegen Hobbykünstler, mit denen will ich aber keine Geschäfte machen. Es gibt viele gute Hobbymusiker und Hobbykünstler. Ich hab ja auch Hobbies, aber ich habe für mich begriffen, was für mich ein Hobby ist und was für mich ein Business ist. Ich finde das sollte jeder irgendwann begreifen und wenn man dann auf einer Business-Ebene ist, kann man dann auch ins Geschäft kommen. Ich kann auch verstehen, dass es Leute gibt, die einen anderen Beruf haben und dann auch ein bisschen Kunst machen und ein paar Drucke verkaufen. Das ist alles okay, aber da ist die neue Galerie nicht mehr das Umfeld dafür. Da wollen sie vielleicht irgendwann hin, aber dann müssen sie sich vorher entschieden haben “jetzt werde ich Profi” und springen ins kalte Wasser und dann drehen sie ab. Natürlich ist das nicht so scharf zu trennen wie gerade beschrieben. Wir sind sicherlich hier und da auch bereit mit Künstler zusammenzuarbeiten, die den Schritt noch nicht komplett durchzogen haben.

„Wir sagen nicht „mach doch mal das, was du auf dem Train so geil gerockt hast bei uns auf der Leinwand“.

Aber es muss zumindest erkennbar sein, dass auch eine gewisse Bereitschaft zur Aufgabe in dem Sinne besteht. Ein solcher Spagat ist natürlich gewissermaßen schizophren. Ich lebe auch einen Spagat, aber ich lebe diesen Spagat anders, denn A: es ist so, dass das Geld was ich als Arzt verdiene zum Teil die Galerie subventioniert und B: haben wir mit meiner Lebenspartnerin eine Vollzeitkraft hier. Das kann ein Künstler schlecht bewerkstelligen. Als Künstler noch einen anderen Job haben – das geht nicht. Das ist hier schon eine gewisse Unterscheidung. Das hier ist für mich ein Nebenberuf. Aber das ist auch ok. So bin ich in der Lage gewisse Dinge so zu steuern und zu delegieren, dass ich nicht ständig präsent sein muss. Man kann sich jedoch sicher sein, dass ich hier jede Schraube und jeden Nadel kenne und über alles was hier geschieht bestens informiert bin.

US: Lass uns über die Kunst sprechen. Eure Künstler zeigen, dass ihr nach wie vor einen Fokus auf Urban Art legt. Die Frage ist etwas abgedroschen, ich stelle sie aber trotzdem. Geht der rebellische Gedanke von Graffiti mit dem Wechsel von der Straße in die Galerie verloren?

CT: Vollkommen. Das ist eine häufig und viel gestellte Frage, die Berechtigung hat. Ich würde allerdings die Frage nicht direkt beantworten, sondern den Blickwinkel einfach mal umdrehen. Zwar geht es hier nicht darum, den rebellischen Charakter von Graffiti zu konservieren, sondern hier geht es darum Künstler aus einer Underground-Szene die Möglichkeit zu bieten sich in einer etablierten Kunstwelt zu versuchen und idealerweise zu etablieren. Es ist immer als ob ein gewisser Schritt so interpretiert wird, dass etwas anderes zerstört  wird oder ob etwas neues geschaffen wird. Ich finde den Vergleich immer etwas unglücklich, weil eigentlich ist es doch so, dass es gar nicht verglichen werden soll.

„…nicht jeder illegale Writer ist ein Moses & Taps.“

Wenn man sich mit den Künstler und der Art der Kunst auseinander setzen will sieht man, dass wir nie Künstler holen die 1:1 versuchen etwas von der Straße hier umzusetzen. Wir sagen nicht „mach doch mal das, was du auf dem Train so geil gerockt hast bei uns auf der Leinwand”. Sondern wir machen es so, dass wir auf der Suche nach Leuten sind, die vor allem das machen, was sie draußen machen auch hier in der Lage sind zu performen. Als Galerist ist es völlig irrelevant was sie draußen machen, wenn es in der Galerie nicht funktioniert. Ich und viele andere auch haben viele Jahre gedacht, der der draußen gut ist, ist auch derjenige der in der Galerie gut ist. Davon haben wir uns komplett gelöst. Es gibt Leute die draußen schlecht sind, aber in der Galerie sehr gut. Und umgekehrt. Wir brauchen am Ende nur die, die in der Galerie gut sind. Letztendlich versuchen viel zu viele Menschen klare Beziehungen zwischen der Straße und der Galerie zu sehen, aber die gibt es in dieser Form kaum, zumindest was mein Empfinden anbelangt.

US: Das ist eine gute Überleitung zu einer der letzten Ausstellungen von euch: “Corporate Identity” von Moses & Taps. Mit der Ausstellung habt ihr eine der interessantesten Graffiti-Konzeptkünstler ausgestellt. Ein Künstlerduo, die das Wechselspiel von draußen und drinnen ziemlich gut beherrschen. Was fasziniert dich an der Arbeit von Moses & Taps?

CT: Die Frage ist schwer zu beantworten. Ich muss ganz klar sagen – auch wenn das ein bisschen im Gegensatz zu dem steht was ich in der letzten Frage beantwortet habe, dass die beiden natürlich auch aufgrund der Stärke ihrer öffentlichen Arbeiten hier ausgestellt haben. Aber nicht jeder illegale Writer ist ein Moses & Taps, das muss man schon ganz klar sagen. Wenn Moses & Taps kommen, dann können die hier ausstellen und machen was sie wollen, aber dann stehen zwischen den meisten und denen die auch gerne ausstellen würden meist ein paar tausend Trains, ein paar Ausstellungen usw. Das ist der lange harte Weg, den die hinter sich haben. Was die Präsenz in Hamburg, in Deutschland, weltweit, die Konsequenz, Qualität, Quantität, Humor, Technik anbelangt, in allen Aspekten sind sie ziemlich weit vorne und auch im gesamten wirklich top top top. Mit Moses & Taps wird man noch viel Freude haben.

„…ich glaube wenn man als Künstler auch das Herz hat, dann macht man das worauf man Bock hat.“

Und ich kann das mal ehrlich sagen: Ich bin der Meinung, dass Moses & Taps sich im Galerie-Kontext noch steigern können und werden, weil sie im Vergleich zur Kunst im öffentlichen Raum noch viel weniger Erfahrung in der Galerie haben. Sie sind auf jeden Fall intelligent und fähig genug. Ich will gar nicht sagen, dass die Ausstellung nicht gut war, sie war sehr gut, aber ich will einfach sagen oder warnen, dass die Box der Pandora gerade erst geöffnet wurde. Das heißt es wird noch eine Menge rauskommen. Das war ein kleiner Vorgeschmack auf das was noch kommt. Aber auch Moses & Taps müssen ein bisschen unten gehalten werden. Das ist noch harte Arbeit. Wenn man sie zum Beispiel mit dem Künstlerduo Os Gêmeos vergleicht und einer Ausstellung von denen, da weiß man auf jeden Fall, dass da noch Luft zwischen Moses & Taps und den ganz großen wie Os Gêmeos oder Shepard Fairey ist. Das muss man schon sagen, die Leute sind ja auch kritikfähig. Die wissen ja auch dass sie zwei super talentierte Künstler sind, aber noch am Anfang ihrer Galerie-Karriere.

US: Die Arbeiten von Moses & Taps können mit dem Begriff Konzept-Vandalismus umschrieben werden? Trifft der Begriff deiner Meinung nach zu?

CT: Ja, das würde ich sagen. Wobei das Konzept viel weniger starr ist als es sich dem Begriff nach ableiten lässt. Ich glaube, dass das Konzept verschiedene Ebenen besitzt und die Ebenen manchmal auch an Gewichtung gewinnen oder verlieren. Mal gibt es eine Bombing-Phase, mal gibt es die Corporate-Identity-Phase mit den Corporate-Identity-Farben. Es sind die verschiedenen Ebenen und das ist auch genau was den ganzen Reiz ausmacht, da sie sich innerhalb dieses konzeptionellen Arbeitens nicht festnageln lassen. Das ist auch der große Trick, um spannend und sexy zu bleiben, weil eben alle anderen ihren Style finden, den sie dann halten. Dieser Style verkauft sich gut und dann wird daraus industrialisierte Kunst. Da hat man dann eine Schablone und geht immer nach dem gleichen Schema vor. Man muss natürlich sagen, wenn man seinen Style einmal gefunden hat, ist es manchmal einfach lukrativ und bequem und man kann sich durch einen hohen Bekanntheitsgrad im kollektiven Gedächtnis halten. Aber aus Sicht des künstlerischen Anspruchs ist es meiner Meinung nach nicht befriedigend. “Der Anfang vom Ende ist, wenn du anfängst dich selbst zu kopieren”. Das ist leider das Schicksal vieler Künstler, wenn sie etwas gefunden haben was zieht und läuft. Sie kriegen Geld, Anerkennung und Wiedererkennungswert. Dann fangen sie an dieselbe Scheiße immer wieder zu produzieren. Ist ja legitim, aber ich glaube wenn man als Künstler auch das Herz hat, dann macht man das worauf man Bock hat. Und das auch , wenn man Fans, Supportern und Beobachtern nicht immer das liefert was sie sehen wollen.

US: Das ist eigentlich bereits die nächste Frage. Moses & Taps erfinden sich und ihre Arbeit immer wieder neu. Warum schaffen es die wenigsten Graffiti-Künstler aus dem klassischen, sich selbst auferlegten Regelwerk auszubrechen?

CT: Das frage ich mich auch, aber ich kann es ganz einfach erklären. Die Pioniere des Graffiti haben etwas Bestimmtes geschaffen. Eigentlich ist Graffiti nämlich mittlerweile eine extrem durchdefinierte Kultur. Das bedeutet wir haben in dieser Kultur auch ganz viele Regeln. Wir haben eine Infrastruktur, wir haben alles was man sich vorstellen kann. Firmen, die Dinge produzieren, die man dafür braucht. Sprühdosen, Marker, Safety-Equipment. Es gibt Medien, es gibt teilweise ungeschriebene und niedergeschriebene Gesetze. Das schizophrene an Graffiti ist, dass die Writer aus der Gesellschaft ausbrechen wollen, am Ende aber in einem neuen Mikro-Kosmos landen, obwohl sie scheinbar schon die Mitte der Gesellschaft verlassen hatten. Das ist etwas, was viele nicht begreifen. Wir haben einfach ganz viele Schafe und es gibt eben nicht genau so viele Wölfe, aber das wird immer so sein bei ein paar Milliarden Menschen auf der Erde. Der Großteil ist eben die Masse. Und eben auch im Graffiti ist mittlerweile ganz viel Masse und wenig Klasse. Deswegen stellen Moses & Taps nicht nur fünfzehn Wörter aus. Haben aber schon 20 Jahre auf dem Buckel. Aber vielleicht fehlt den meisten anderen Writern einfach der Intellekt zu begreifen, dass es heutzutage nicht mehr besonders ist, wenn man 1000 Pieces im selben 08/15-Style in klassischen Farbkombinationen mit Schlagschatten malt. 

US: Schauen wir ein wenig in die Zukunft. Welche Künstler erwarten den Besucher eurer Galerie dieses Jahr?

CT: Das ist eine gute Frage. Aktuell läuft die Ausstellung NEON COMPANY- names up in lights, eine Gruppenausstellung mit DEMSKY, N.O.madski, MOST und Sobekcis, es lohnt sich auf jeden Fall, sie anzuschauen. Im Anschluß daran folgt eine Einzelausstellung mit Pablo`SOZYONE` Gonzalez und im Laufe des Jahres eine Gruppenausstellung mit Mode2, Miss Van und Dave Decat. Ein paar Überraschungen werden auch noch folgen. Als Ausblick ins Jahr 2018 haben wir dann Sobekcis mit einer Einzelausstellung und Moses & Taps werden wiederkehren!

US: Vielen Dank für das Gespräch.

_____________________

GOLDEN HANDS GALLERY

Kaiser-Wilhelm-Straße 85
20355 Hamburg

Öffnungszeiten
Mittwoch – Samstag: 13:00 – 18:00 Uhr

www.goldenhandsgallery.com

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