„Wir stellen eine der wichtigsten Regeln des Graffiti auf den Kopf“

8. April 2022
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Interview – Bei URBAN NATION in Berlin ist aktuell die Ausstellung ‚The Versus Project 2‘ zusehen. Eine internationale Gruppenausstellung, initiiert von dem Künstlerduo LAYER CAKE, die die klassischen Vorstellungen des künstlerischen Arbeitens und Ausstellens sprengt. Wir haben mit den beiden Künstlern und Kuratoren Christian Hundertmark/C100 und Patrick Hartl über das Ausstellungskonzept gesprochen um zu erfahren, was die Ausstellung so besonders macht und was die Besucher erwartet.
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Urbanshit: The Versus Project ist keine gewöhnliche Ausstellung, in der verschiedene Künstler:innen ihre Bilder ausstellen. Erzählt uns etwas über das Konzept und das Besondere der Ausstellung.

Layer Cake: Mit Layer Cake vereinen wir unsere Talente zu einem dynamischen malerischen Dialog. Wir experimentieren seit 2015 mit der Fusion unserer Stile. Die freigesetzten Writing-Elemente von Patrick werden durchdrungen und überlagert von Christians Hard-Edge-Schwebefeldern. So entstehen tiefenräumlich anmutende Variationen über Schrift und Linie, Farbfeld und Verdeckung, Aus- und Aufbruch. Klassische Themen. Die Bilder werden nicht geplant, sie passieren. Süß, knackig und geschichtet – passenderweise bekam das Ergebnis und unser neu formiertes Künstlerduo den Namen Layer Cake: eine Torte mit reichhaltiger Füllung. Parallel entstand mehr oder weniger durch Zufall ein neues Konzept – die Idee, eine der wichtigsten Regeln des Graffiti, die des Going-over beziehungsweise Crossing (nicht über die Bilder anderer Writer*innen zu malen), umzudrehen und auf den Kopf zu stellen.

Mit The Versus Project spinnen wir die Idee von Layer Cake weiter und laden zu jedem Kunstwerk jeweils eine:n Gastkünstler:in ein, der oder die ebenfalls an diesem kreativen Prozess teilnimmt. Auf diese Weise entsteht ein künstlerischer Dialog, die Leinwände werden zur Plattform einer Auseinandersetzung auf malerischer Ebene – in diesem Fall von aktuell oder ehemals im Style-Writing tätigen Künstler:innen aus verschiedenen Generationen, Ländern und Kontinenten. Alle Teilnehmer:innen dieses Projekts vereint ihre Leidenschaft und der starke Bezug zum Style-Writing, zu Street-Art und Graffiti.

Ihr selbst malt nach dem Versus-Prinzip schon lange gemeinsam. Wie und wann entstand die Idee zu der Ausstellung, in der ihr Eure kollaborative Arbeitsweise mit anderen Künstler:innen fortschreibt?

Da uns die gemeinsame Arbeit als Layer Cake und die besondere Art unserer Zusammenarbeit sowohl Spaß macht als auch in unserem künstlerischen Schaffen weiter gebracht hat, kamen wir irgendwann auf die Idee dieses Konzept auszuweiten und befreundete Gastkünstler einzuladen diesen Prozess in einer erweiterten Form mit uns zu teilen und eine Arbeit zu dritt zu machen.

Versus – bedeutet so viel wie gegeneinander – das bedeutet also auch, dass die Künstler:innen die Bilder der anderen gegenseitig übermalen. Crossen ist ja sonst eher ein No-Go in der Urban Art Szene. Warum habt ihr Euch zu dieser Form der künstlerischen Auseinandersetzung entschieden?

Das ist eigentlich mehr oder weniger zufällig entstanden. Unsere ersten gemeinsamen Arbeiten entstanden bei einer freundschaftlichen Malsession ohne den Hintergedanken oder Plan, daraus mehr zu machen, als eine einmalige Aktion. Während des Malens haben wir uns über alles mögliche unterhalten – nur nicht über das was wir da eigentlich zusammen machten/malten. Ohne Plan oder vorheriger Absprache und in jeder Konsequenz überarbeiteten wir beide die jeweiligen Teile des anderen – und waren beide mit dem Ergebnis zufrieden. Aus dieser ersten Session entstand die Idee zu Layer Cake. Das spannende an unserer Art gemeinsam zu arbeiten ist das es uns beide aus unserer Komfortzone holt und uns sozusagen zwingt, neue Horizonte zu eröffnen die wir jeweils einzeln so wahrscheinlich nie ergründen würden.

Waren immer alle Künstler:innen zufrieden mit dem fertigen Bild? Oder gab es im Nachhinein auch mal Diskussionen oder Meinungsunstimmigkeiten über das finale Ergebnis?

Es gab durchaus Arbeiten mit denen zumindest der ein oder andere der drei Künstler für einen Moment oder zu einer jeweiligen Stufe unzufrieden war, aber wir haben einfach immer so lange weiter gemacht bis alle zufrieden waren und bisher haben wir noch immer ein Ende gefunden mit dem sich alle wohl fühlen.

Hat es auch mal eine Leinwand nicht in die Ausstellung geschafft?

Bisher haben es tatsächlich alle fertigen Arbeiten in die beiden bisherigen Ausstellungen geschafft.

Wie genau sind die Bilder für ‚The Versus Project‘ entstanden? Habt immer ihr zuerst gemalt und dann die Leinwand an den oder die Gastkünstler:in geschickt?

Wir beginnen in unserem Atelier Arbeiten, die wir unfertig an die Gastkünstler:innen versenden. Diese greifen im malerischen Prozess ohne Absprache in das Werk ein und tragen so ihren Teil bei. So werden die Werke oft mehrfach hin und her geschickt, bis wie eben beschrieben, sowohl wir als auch die Gastkünstler:innen mit dem Ergebnis zufrieden sind.

Habt ihr Euch im Vorfeld mit den jeweiligen Künstler:innen ausgetauscht? Gab es Skizzen oder Absprachen? Oder hat jeder „einfach drauf los“ gemalt?

Es gab nie so etwas wie Absprachen, Skizzen oder Plan. Das ist, wie bereits erklärt, das Prinzip oder zumindest Teil unserer Zusammenarbeit als Layer Cake und eben auch dem VERSUS Projekt.

Jeder Künstler hat seine eigene Arbeitsweise, Technik und auch sein eigenes Tempo. Das hat sicherlich einiges an Zeit beansprucht. Wie lange hat ein Werk bis zur Fertigstellung im Durchschnitt gebraucht?

Tatsächlich haben die meisten Arbeiten um die 2 Jahre bis zur Fertigstellung gebraucht. Natürlich hatte es dafür manchmal auch anderen Gründe wie Versandzeiten etc. aber tatsächlich hatten viele der Künstler anfängliche Schwierigkeiten mit dieser konsequent unausgesprochene Art der Zusammenarbeit und vor allem auch mit der Tatsache in ein Werk eines anderen Künstlers unwiderruflich einzugreifen. Nachdem wir bereits seit einigen Jahren auf diese Art zusammen gearbeitet hatten haben wir diesen Effekt tatsächlich unterschätzt. Nach sechs Jahren Zusammenarbeit als Layer Cake war uns gar nicht mehr bewusst wie sehr man Künstler:innen mit so einer kompromisslosen Zusammenarbeit aus der eigenen Komfortzone lockt. Für uns fühlt sich diese Art der kollaborativen Arbeit mittlerweile normal an, doch für manche der Gastkünstler:innen war das fast schon eine herausfordernde Grenzerfahrung. Aber am Ende waren, Gott sei Dank, alle Künstler froh an dem Projekt teilgenommen zu haben.

Im Projektraum des URBAN NATION Museums werden ab dem 10. April 2022 insgesamt 13 Werke zu sehen sein, die rund um den Globus gereist sind. Was erwartet die Besucher:innen in der Ausstellung?

13 einzigartige Arbeiten die keiner der teilnehmenden Künstler je so gemalt hätte, die es ohne diese besondere Art der Zusammenarbeit so nie gegeben hätte und wohl auch kein zweites mal geben wird.


Plant ihr bereits einen dritten Teil der Ausstellungs-Serie oder ist das The Versus Project damit erst einmal beendet?

Aktuell sind wir in Planung einer dritten VERSUS Ausstellung im Museum of Graffiti in Miami voraussichtlich im März 2023 und in Absprache über eine mögliche vierte VERSUS Ausstellung in Shepard Faireys SUBLIMINAL Art Space in Los Angeles.

Vielen Dank!

LAYER CAKE
Christian Hundertmark & Patrick Hartl



The Versus Project 2
10. April – 31. Juli 2022


Teilnehmende KünstlerInnen:
LAYER CAKE: Christian Hundertmark (C100) (München / D) & Patrick Hartl (München / D), Bisco Smith (New York / USA), Bust (Basel / CH), Chaz Bojorquez (Los Angeles / USA), Dave the Chimp (Berlin / D), EGS (Helsinki / FIN), Flavien Demarigny (Mambo) (Apt / F), Formula 76 (Hamburg / D), Mick La Rock / Aileen Middel (Amsterdam / NL), Mina Mania (Berlin / D), Imaone (Tokio / JP), Jake (Amsterdam / NL), Usugrow (Tokio / JP), Vincent Abadie Hafez (Zepha) (Toulouse / F)

Projektraum URBAN NATION
Bülowstraße 97
10783 Berlin

Öffnungszeiten
Di – Mi: 10:00 – 18:00 Uhr
Do – So: 12:00 – 20:00 Uhr

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