„Ich habe schon früh gemerkt, dass mich im Stadtbild vor allen Dingen Graffiti interessiert“

1. Oktober 2020
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Das Hamburger Künstlerduo, bestehend aus Marcus und Liam Tanzen, schafft mit seinen Arbeiten hyperrealistische Wandminiaturen, die täuschend echt aussehen und bis ins letzte Detail ausgearbeitet sind. Inspiriert von der Stadt und der urbanen Realität der Straße entstehen die Arbeiten dabei dennoch der reinen Fiktion der beiden Künstler.

Anlässlich ihrer ersten Einzelausstellung im Oktober in Hamburg haben wir Marcus und Liam Tanzen zum zum Interview getroffen.

„Kaugummi“ hyperrealistische Wandminiatur von Marcus & Liam Tanzen (2020)

Ihr seid Vater und Sohn und arbeitet als Künstler-Duo. Erzählt ein bisschen über euch.

Marcus: Es gibt ganz unterschiedliche Formationen: Liam hat für sich schon immer gezeichnet, seitdem er klein war, und studiert mittlerweile Illustration. Und ich habe zusammen mit meiner Frau Manuela ein anderes Kunstprojekt: freakheads. Wir haben aber auch zu dritt schon immer Sachen gemacht, wie zum Beispiel zwei Fußballkunstbücher.

Liam: Genau. Ich mache eigentlich schwerpunktmäßig Zeichnungen, insbesondere Portraits. An der ’small vandalism‘-Reihe arbeiten wir neben den anderen Projekten seit gut 2 Jahren, seit circa einem Jahr mit besonderem Fokus.

Wie können wir uns eure Arbeitsweise, von der Idee bis zur Fertigstellung, vorstellen? Was sind die ersten Schritte?

Liam: Wir arbeiten zweigeteilt, das heißt, dass mein Vater erst mal das Wandmodell baut und ich dann im zweiten Schritt, mit nur geringer Absprache, die Graffiti-Elemente mache. Wir handhaben das gerne so, weil das ja auch ein Stück weit diesen realen Prozess nachstellen soll, wo sich die Wand ja auch nicht aussucht, was da passiert.

Marcus: Die Wände sind eher eine atmosphärische Abbildung der Realität, das sind jetzt nicht de facto Wände, die man so, in der Art und Weise, 1:1 sieht, sondern man hat das Gefühl, man hat so was schon mal gesehen. Da ist es natürlich vor allen Dingen dann interessant, wenn es nicht alles ganz so sauber ist, nicht ganz so clean.

„Alec“ hyperrealistische Wandminiatur von Marcus & Liam Tanzen feat. Mitenimwald (2020)

„Ich habe schon früh gemerkt, dass mich im Stadtbild vor allen Dingen Graffiti interessiert“

Liam: Es ist glaube ich insgesamt wichtig zu sagen, dass die Wände und auch die Graffiti-Elemente kein reales Vorbild in dem Sinne haben. Natürlich sind die irgendwo inspiriert durch Vorbilder. Aber es ist nicht die Wand, die es genau da und dort zu sehen gibt. Sondern das sind immer eher Hommagen und kleine Verweise, aber vor allen Dingen fiktive, von uns erdachte Elemente, sowohl in der Welt, die die Wände abbilden, als auch in der Welt, die ich mir aufbaue, mit irgendwelchen Namen und den Crews, die ich mir erdenke.

Eure small vandalism Wandminiaturen bestechen durch extreme Genauigkeit und Detailreichtum. Welche Werkzeuge und Materialien verwendet ihr hauptsächlich?

Marcus: Es ist tatsächlich so, dass ein Hauptteil der Wände selber aus einfacher Graupappe besteht und später angemalt wird. Die Details sind oft aus Kunststoff, aus Plexiglas, Metall- oder Kabelresten, z. B. von alten In-Ear-Kopfhörern, die Teile werden mit dem Cutter zerlegt und dann mit Sekundenkleber oder mit Bastelleim wieder zusammengefügt, später angemalt und gealtert.

„Mulch“ hyperrealistische Wandminiatur von Marcus & Liam Tanzen (2020)

Liam: Ich arbeite für die Graffiti-Elemente mit eben den Materialien, die auch jeder aus dem Bereich von Skizzen oder kleinen Tags kennt, also mit Alkoholmarkern und teilweise mit Finelinern. Wobei dabei, gerade weil Graffiti-affine Leute das kennen, die Schwierigkeit oder auch der Reiz darin besteht, die Stifte derart einzusetzen, dass es trotzdem nicht aussieht, als hätte ich eine kleine Skizze gemacht, sondern als würde das eben als tatsächliches Graffiti an der Wand stattfinden.

Eure Kunst ist unverkennbar von dem urbanen Stadtleben beeinflusst. Was fasziniert euch am typischen Stadtbild und seinen Szenarien, dass ihr dieses in eurer Kunst aufgreift?

Liam: Ich denke, dass wir beide eine etwas unterschiedliche Sichtweise darauf haben. Ich habe schon früh gemerkt, dass mich im Stadtbild vor allen Dingen auch Graffiti interessiert, so bin ich eigentlich überhaupt als kleines Kind dazu gekommen, ich fand das z. B. auf längeren Bahnfahrten besonders spannend. Und du (Marcus) wirst ja sicherlich als hauptberuflicher Architekt auch noch eine ganz andere Sicht haben.

Marcus: Ja, im Alltag beschäftige ich mich mit Neubauten und auch größeren Bauwerken. Aber sich in einer Stadt zu bewegen und die Stadt in einem anderen Maßstab wahrzunehmen und auch da Details zu erkennen, das ist eigentlich schon immer das Interessantere. Liam ist in Frankfurt/Main geboren, und da ist das ja auch noch mal ein ganz anderer Schnack. Man denkt zwar immer, das ist eine Großstadt, mit Hochhäusern und so; aber wenn man sich unten auf dem Straßenlevel bewegt, gibt es da auch fast dörfliche oder kleinstädtische Strukturen mitten in der Stadt, das ist dann schon interessant: dieser Widerspruch zwischen Wahrnehmung einer Stadt von außen und wie es tatsächlich ist, wenn man da rumläuft.

Liam: Ich würde auch behaupten, dass die jetzt konzentriertere Arbeit an den Wandminiaturen den Blick verändert, wie ich auf die Stadt schaue, dass ich das permanent ein bisschen im Hinterkopf mitlaufen habe, Ideen und Inspirationen zu sammeln.

Alle Wandminiaturen sind fiktive Häuserwände und Stadtkulissen. Auch die Graffiti, Tags und Crew-Namen gibt es so nicht. Woher holt ihr euch Inspirationen?

Liam: Ich habe mir relativ früh überlegt, dass ich ein, zwei immer wiederkehrende Elemente haben möchte, wie zum Beispiel Namen, die sich aus Romanen, die ich in meiner Jugend gelesen habe, herleiten. „Ankh“ zum Beispiel ist aus Terry Pratchetts Scheibenwelt-Romanen: Die Stadt, in der das hauptsächlich spielt, ist Ankh-Morpork, die so heißt wegen des Flusses Ankh. Der ist das Dreckigste und Urbanste, was man sich vorstellen kann. Da gibt es Leute, die sich probieren zu ertränken und dann mehr oder weniger auf der Wasseroberfläche kleben bleiben. Diesen Namen habe ich mir mal als quasi urbane, großstädtische Metapher gewählt und später von da an weitergedacht. Ich verarbeite aber auch aktuelle Einflüsse, mache u. a. viele Rap-Anspielungen, die Kenner auch erkennen werden, ob das Namen von Leuten sind, Slang-Begriffe oder Abkürzungen für irgendwelche Crews. Wobei ich dabei auch gerne schaue, was mich aktuell, während ich an der Wand arbeite, gerade beschäftigt, also was ich gerade höre oder womit ich mich gerade auseinandersetze.

„Kaugummi“ hyperrealistische Wandminiatur von Marcus & Liam Tanzen (2020)

Mitte Oktober stellt ihr erstmalig Eure small vandalism Serie in einer Einzelausstellung in der Urbanshit Gallery aus? Was erwartet die Besucherinnen und Besucher in der Ausstellung?

Liam: Wir zeigen 16 Wandminiaturen, die alle extra für die Ausstellung gefertigt wurden und daher noch nirgends zu sehen waren.

Marcus: Neben Themen, die wir schon in der Vergangenheit verhandelt haben, gibt es jetzt ganz neu auch einige etwas größere Formate und auch neue architektonische Einflüsse.

Liam: Ich denke auch, dass wir insgesamt ein wenig weiter sind – die Wände sind häufig etwas „voller“ und mein Kosmos an Namen und Stilen hat sich sicher nochmal erweitert.

Das Jahr 2020 ist gefühlt schon so gut wie zu Ende. Habt ihr bereits Projekte und Pläne für das kommende Jahr?

Marcus: Wir haben auf jeden Fall noch eine Menge Ideen, was man so alles machen könnte. Es wird also weiter gehen …

Vielen Dank für das Interview.

UPCOMING SHOW

„small vandalism“

Soloausstellung von Marcus und Liam Tanzen
17. Oktober bis 8. November 2020

Eröffnungswochenende:

Samstag, 17. Oktober 2020, 15.00 – 20.00 Uhr
Sonntag, 18. Oktober 2020, 15.00 – 18.00 Uhr

Öffnungszeiten:
Dienstag, Donnerstag und Samstag, jeweils von 15.00 – 18.00 Uhr

URBANSHIT GALLERY
Breite Straße 56
22767 Hamburg


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Alle Kunstwerke werden ab dem 18. Oktober auch online unter
www.urbanshit-gallery.com verfügbar sein.

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