Street Art Geheimtipp in den Bergen: Zu Besuch in der portugiesischen Stadt Covilhã

2. November 2020
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– URBAN TRAVEL –

Wer nach Portugal reist und auf der Suche nach spannender Street Art ist, der denkt als erstes an die Städte Lissabon und Porto. Dabei lohnt sich ein Blick abseits der bekannten Touristen-Hot-Spots. Umgeben von Bergen, liegt im Centro de Portugal ein echter Geheimtipp für Street Art, den die wenigsten bisher kennen.

Wir waren in den letzen Jahren des Öfteren in Portugal, um uns Street Art anzuschauen, Galerien zu besuchen und Künstler zu treffen. Dabei hat uns unsere Reise jedesmal nach Lissabon geführt; Eine Stadt, die in den letzten Jahren zu einem wahren Hot Spot der Urban Art geworden ist, und das weltweit. Nicht nur, weil Lissabon die Heimat von gleich einer ganzen Reihe der spannendsten europäischen Urban Art Künstler ist, sondern auch, weil die portugiesische Hauptstadt mit seinem urbanen Charme auch abgesehen von Street Art absolut eine Reise wert ist. Kaum eine andere europäische Stadt schafft es so schnell, sich einen festen Platz im Herz seiner Besucher zu erobern, wie Lissabon.

Mural von Tamara Alves @tamara_aalves in der Altstadt von Covilhã

Auch dieses mal haben uns unsere Reisepläne wieder nach Lissabon verschlagen. Allerdings nur für ganz kurz. In Lissabon gelandet, ging es direkt weiter ins Landesinnere von Portugal, eine Region die für uns bis dahin gänzlich neu und unerschlossen war. Um so größer war unsere Spannung, als wir unsere erste Reise ins Centro von Portugal angetreten sind.

Blick über die Dächer Covilhãs in die Berge

Im Herzen von Portugal, im Centro de Portugal, liegt eine ganz besondere Stadt, die es in sich hat. Umgeben von Bergen, schmiegt sich die Stadt Covilhã auf 700 Metern Höhe in die grünen Talausläufer der Serra da Estrela, dem westlichen Teil des höchsten Gebirges auf dem portugiesischen Festland. 50.000 Menschen leben und arbeiten hier, darunter fast 7.000 Studierende der Universidade da Beira Interior. Das war nicht immer so, denn die Geschichte der Stadt ist eine ganz andere, auf die es sich lohnt, einen genaueren Blick zu werfen.

Mural des portugiesischen Künstlers Regg Salgado

Die Stadt schaut auf eine ruhmreiche Vergangenheit als Industriestadt zurück. Covilhã gehörte einst zu den bedeutendsten Orten der Wollproduktion. In der Blütezeit verarbeiteten hier bis zu 200 Fabriken Wolle aus der ganzen Welt zu Stoffen, Garnen und Textilien, die anschließend rund um den Globus exportiert wurden. Die ersten Fabriken um die Jahrhundertwende siedelten sich entlang der beiden Flüsse Goldra und Carpinteira an, die sich wie zwei grüne Bänder von den Bergen ins Tal schlängeln.

Später wuchsen die Fabriken mit ihren weit sichtbaren Schornsteinen aus Backstein bis ins Stadtzentrum. Covilhã wurde immer größer und Stadt und Bewohner lebten rund ein Jahrhundert lang fast ausschließlich von der Wollindustrie. Mit dem Wandel der Industrie von Einzelproduktionsstätten hin zu großen Industrieanlagen am Stadtrand und der Verlagerung von großen Teilen der Produktion ins Ausland, stand auch für Covilhã ein großer Wandel an. Ein Strukturwandel, der bis heute in der Stadt merklich spürbar ist, und der die Stadt heute so interessant macht.

„Trash Animal“ Installation des portugiesischen Künstlers Bordalo II

Seit neun Jahren verwandelt das WOOL Festival die Altstadt von Covilhã in eine große Urban Art Galerie und würdigt die Geschichte der Stadt durch Kunst

Die Liste der Namen, die sich mit großen und kleineren Kunstwerken im öffentlichen Raum von Covilhã bereits verewigt haben, ließt sich wie das Who-is-who der portugiesischen Urban Art Szene. In den letzten Jahren waren so gut wie alle bekannten Urban Art Künstler Portugals zu Gast in der Gebirgsstadt. Ob VHILS, Bordalo II oder der Fliesenkünstler Add Fuel, sie alle haben ihre Spuren in Covilhã hinterlassen. Soweit nicht ungewöhnlich, schließlich gibt es viele Städte auf der Welt, deren Szeneviertel voll mit spannender Street Art sind. In der portugiesischen Gebirgsstadt ist es etwas anders.

Mural des portugiesischen ARM Collective aus dem ersten WOOL Festivaljahr 2011

Kaum einer der vielen Künstler, der hier zu Besuch war, hat die Stadt mit seiner Kunst einfach nur bunter gemacht, sondern hat mit seinem Kunstwerk die Vergangenheit der Stadt aufgegriffen und die Geschichte durch Street Art interpretiert – oftmals in enger Zusammenarbeit mit den Einwohnern und Gastgebern aus Covilhã.

Alles begann vor neun Jahren, als die Architektin Lara Seixo Rodrigues gemeinsam mit ihrem Bruder Pedro und der Freundin Elisabet Carceller beschlossen ein Urban Art Festival ins Leben zu rufen. Damals gab es in Covilhã gerade einmal eine Hand voll Graffiti und Tags, wie sie in jeder mittelgroßen Stadt zu finden sind. Für die Idee eines eigenen Festivals kehrten die drei 2011 aus Lissabon zurück in ihre alte Heimat, in der sie ihre Kindheit und Jugend verbracht haben und den Strukturwandel selbst miterlebt haben – und der vielleicht auch genau der Grund war, warum sie nach der Schule in die Hauptstadt zogen.

Die erste Ausgabe des WOOL Festivals für Urban Art fand im Sommer 2011 statt. Die Werke des ersten Festivaljahres sind bis heute in der Stadt zu finden. Seit dem findet einmal im Jahr, immer in den frühen Sommermonaten das WOOL Festival statt. Jahr für Jahr laden die Macherinnen eine Hand voll Künstler ein, um sich mit der Geschichte der Stadt zu beschäftigen und um ihre Kunst in den öffentlichen Raum zu bringen. Jedes Mal sind Künstler aus Portugal und Künstler aus der restlichen Welt dabei. Alle mit der Aufgabe, ein eigenes Werk speziell für die Altstadt von Covilhã zu entwickeln und umzusetzen.

Mural des spanischen Künstlers Jofre Oliveras @jofre.oliveras (2020)
Stencil Wall des portugiesischen Künstlers Add Fuel, inspiriert durch alte Textilmuster / Mural von Indigofera Tinctoria & Rubia Tinctorium (2017)

Über die letzten neun Jahre sind über 50 Murals, Installationen und Interventionen von rund 30 verschiedenen Urban Art Künstlern entstanden. Verteilt über die ganze Altstadt hat das WOOL Festival eine große Freiraumgalerie geschaffen, deren einzelnen Kunstwerke auf ganz unterschiedliche Art und Weise die Geschichte der Stadt erzählen. Mal ganz offensichtlich, mal subtil wird die Vergangenheit Covilhãs durch Urban Art interpretiert.

Mural von Alberto Montes bei der Entstehung @alberto__montes (2020)

Durch kleine Gassen und über Plätze, lässt sich die Street Art in der Altstadt auch ganz ohne Mural Map und Stadtplan entdecken. Über schmale Treppen und steile Straßen steigt man dabei ganz automatisch bis auf den höchsten Punkt der Stadt hinauf und durchläuft dabei die verschiedenen topografischen Schichten der Gebirgsstadt und entdeckt immer neue Street Art.

Stencil Mural von Joao Samina @saminartist – Ein portrait eines stadtbekannten Einwohners
Mural des spanischen Künstlers Btoy

Im nächsten Jahr, 2021, feiert das WOOL Festival großes Jubiläum. 2011 luden die Macher des Urban Art Festivals das erste Mal Künstler ein, um mit ihrer Kunst die Geschichte der Stadt zu erzählen und dabei gleichzeitig die Straßen bunter zu machen. 2021 wird das Festival 10 Jahre alt. Eine Reise nach Covilhã im Zeitraum des Festivals wird sich 2021 also vermutlich ganz besonders lohnen.

Mural von Pastel (ARG) / Typografie-Wand von HALFSTUDIO
Mural von Frederico Draw @fredericodraw aus Porto
Mural von Mário Belém @fredericodraw
Negativ-Mural des argentinischen Künstlers BOSOLETTI / Mural von Sebas Velasco @sebasvelasco1
Mural von Pant0ni0 (All Pictures byURBANSHIT)

Mehr Informationen über das WOOL Festival in Covilhã und zu den  teilnehmenden Künstlerinnen und Künstlern gibt es auf dem Instagram Channel des Festivals. Eine Karte mit allen im Rahmen des Festivals entstandenen Kunstwerken gibt es als praktische Google Maps Karte für unterwegs.

So reist man von Deutschland aus am besten nach Covilhã

Wer von Deutschland aus nach Covilhã reisen möchte, für den gibt es zwei Optionen. Entweder man fliegt in die portugiesische Hauptstadt Lissabon oder in die zweitgrößte Stadt Porto. Von dort aus ist der einfachste und bequemste Weg mit dem Mietauto weiter nach Covilhã zu fahren. Für die Strecke von gut 250 km braucht man aus beiden Städten rund 2,5 Stunden. Wer die Autobahn meiden möchte und lieber über Landstraße fährt, der sollte gut 1,5 Stunden länger für die Fahrt einplanen.

Rudolf

Gründer von Urbanshit. Brennt für Urban Art seit dem er denken kann. Lebt und arbeitet in Hamburg.

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Rudolf

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