Der Berliner Künstler Kai RAWS Imhof begann 2004 seine künstlerische Karriere als klassischer Graffiti-Writer. Unzählige Wände, Tags, Bombings und ein Grafikdesignstudium später, hat RAWS zu seinem eigenen Style mit hohem Wiedererkennungswert gefunden: „Neograffism“. Inspiriert von der Bauhaus Bewegung und Künstlern wie Kandinsky, Richter oder Picasso, schafft er eine Symbiose aus Grafik, klarer Anordnung und klassischem Graffiti-Stil. Jetzt zeigt der Künstler in der Einzelausstellung „Leaving the frame“ in Leipzig seine neuen Werke. Wir haben RAWS zum Interview gebeten.
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Jeder Künstler hat seinen eigenen einzigartigen Hintergrund, seinen eigenen Stil, Techniken und Visionen. Erzähl uns doch ein bisschen darüber wer Du bist, was Du machst und wo deine künstlerischen Wurzeln liegen.
Ich bin Kai Imhof, male unter dem Pseudonym „Raws“ seit 2004 Graffiti und komme aus Berlin. Mittlerweile hat sich mein Stil vom klassischen Graffiti hin zu eher abstrakten Formen und Ästhetiken entwickelt. Dabei beziehen sich diese Formen aber immer noch auf meinen Graffitibackground. Ich bin damals über meine Skateboardleidenschaft zum Stylewriting gekommen. In unserem Stammskatepark hab ich die Sprüher gesehen und fand das total cool. Dann ging es für mich ab in den Baumarkt um Dosen zu kaufen und direkt weiter auf die Straße. Bis zu meinen Begegnungen mit der Polizei war ich auch illegal unterwegs. Danach hab ich mich dann eher mit der ästhetischen Seite von Graffiti beschäftigt und hab sehr viel an legalen Hall of Fames gemalt. Das sorgte dafür, dass ich etwas bekannter wurde und auch international auf Festivals malen durfte. Seit ein paar Jahren beschäftige ich mich weniger mit den Buchstaben als mit der visuellen Formsprache von Graffiti. Dadurch sind die Buchstaben immer weiter in den Hintergrund gerutscht und abstrakte Formen und Kompositionen für mich wichtiger geworden. Durch meine Grafikdesignausbildung habe ich mich unter anderem mit der Kunsthistorik auseinander gesetzt und so weitere Ideen bekommen. Vor allem das sogenannte „Bauhaus“ mit einem reduzierten, minimalistischen Ansatz hat mich sehr inspiriert. Aktuell beschäftige ich mich viel mit Digitalisierung, dem Kunstbegriff an sich und dem Thema Perspektive.
Deine Kunst bezeichnest du als „Neograffism“ . Was kann man sich darunter vorstellen, beschreibe deinen Stil.
Das Wort ist 2019 im Zuge meiner ersten großen Soloausstellung entstanden. Es setzt sich aus den Wörtern „Neo“ (neu) und Graff (Graffiti und Grafik) zusammen und beschreibt meinen Ansatz, sich mit dem Thema Graffiti auf abstrakte und minimalistische Art zu nähern. Dabei möchte ich die Frage nach der Definition von Graffiti und Kunst stellen. Ab wann wird Graffiti als Kunst wahrgenommen und wo liegen die Übergänge zur abstrakten Kunst. Mein Stil ist also sehr klar, grafisch, abstrakt und minimalistisch.
Wie hat sich Deine Kunst über die Jahre entwickelt? Wie lange hat dein kreativer Prozess gedauert um zu deinem jetzigen Stil zu gelangen?
Ich male jetzt seit 16 Jahren. Anfänglich war ich Writer. Graffitibuchstaben in den Straßen, an den Halls und in den Bahnen. Seit meiner Ausbildung entwickelte ich einen Stil, der immer abstrakter wurde. Das war 2012. Nun arbeite ich seit diesen 8 Jahren daran, mich immer weiter zu entwickeln und meine Ansätze zu festigen, neue Fragen zu stellen und meinen Stil zu konturieren. Dabei probiere ich natürlich immer wieder Neues aus. Der Grundstil ist aber ähnlich geblieben. Ich liebe klare Linien und aufgeräumte Kompositionen. Aber auch das versuche ich derzeit immer wieder zu brechen.
Woher beziehst du die Inspiration für deine Kunst? Hast du Vorbilder oder stetige Inspirationsquellen?
Künstlerisch inspiriert mich total viel. Das kann wirklich alles sein.Ich schaue beispielsweise einen Film und die Filmmusik löst ein bestimmtes Gefühl bei mir aus. Werbung. Das Internet. Social Media. Meine Umgebung. Alles. Vorbilder gibt es da eher auf Karriere-Basis. Größere Künstler. Lebenswege von diesen. Das gibt mir total viel Energie und Ansporn.
Wie lange dauert es, von der Idee bis auf die Wand?
Das geht bei mir ehrlich gesagt relativ schnell. In den meisten Fällen male ich spontan. Das heißt, dass ich direkt an der Wand skizziere. Ich find das am spannendsten, weil ich spontan auf die Umgebung und Gegebenheiten reagieren kann. Ab und zu fertige ich aber auch Entwürfe in Adobe Illustrator an, um die Wirkung zu sehen. Gerade bei Aufträgen will der Kunde natürlich sehen, was ihn erwartet.
Was treibt Dich an, Kunst sichtbar im öffentlichen Raum zu machen und so mit den Menschen zu kommunizieren?
Das ist eine spannende Frage. Ich freue mich einfach, wenn man in den Menschen etwas auslösen kann. Im allerbesten Fall, regt meine Kunst sogar zum Nachdenken an.
Lass uns ein bisschen in der Zeit zurück gehen, als Du deine erste Wand Nachts gemalt hast. Was war das für ein Gefühl?
Das war geil. Abenteuer. Wir waren 14 Jahre alt und hatten nur Schabernack im Kopf. Ich fand das total spannend. Erst die Planung, das Dosen besorgen, das Rausschleichen und dann das Malen. Meine Ohren waren so gespitzt. Jedes Rascheln hat meinen Puls in die Höhe schießen lassen. Und das Beste: Nachts zurück zu kommen und zu wissen, dass alles funktioniert hat. Keine Polizei, keine erbosten Eltern, aber ein „geiles“ Bild an der Wand. :)
Bei Street Art Ausstellungen ist es für Künstler oftmals ein wichtiger Punkt, das Gefühl der Straße erfolgreich in einen geschlossenen Galerieraum zu übertragen. Wie schaffst Du das? Oder ist das deiner Meinung nach nicht zwingend nötig?
Mittlerweile bin ich der Meinung, dass das gar nicht geht. Graffiti gehört nunmal auf die Straße und ist in diesem Kontext illegal. Das braucht Graffiti auch. Der Reiz dieser Kunst liegt darin, dass Freiräume erkämpft werden ohne zu fragen. Das würde in einer Galerie nicht funktionieren. Mein persönlicher Anspruch ist es auch nicht, Graffiti in die Galerie zu bringen. Ich male meine Bilder mit einem Graffitihintergrund. Ich würde meine Leinwandarbeiten aber nicht als „Graffiti“ betiteln. Deswegen auch die Bezeichnung „Neograffism“. Das zeigt, dass es eben kein Graffiti ist, sondern etwas Anderes. Meinen Graffitibackground sieht man den Bildern aber natürlich noch an.
Am Samstag eröffnet deine Soloausstellung „Leaving the frame“. Da beschäftigst Du dich mit der Frage: „Was ist Graffiti, ab wann wird Graffiti als „Kunst“ wahrgenommen? Wo verläuft die Grenze?“ Hast Du darauf eine Antwort gefunden und wenn ja, wie lautet sie?
Diese Fragen sind eher allgemeine Fragen, die ich immer in meinen Bildern behandele. Das sind die, für mich, übergeordneten Fragen. Bei „Leaving the Frame“ geht es im Detail eher darum, auszubrechen. Ob es das Ausbrechen im Graffitikontext ist oder das Ausbrechen aus bestimmten Strukturen im Allgemeinen. Es geht mir darum, den Betrachter zu sensibilisieren, dass man Dinge auch hinterfragen kann. Sich auch durchaus selbst zu hinterfragen oder auch systematische Strukturen. Ob in der Politik oder im Sozialen.
„Think outside the box. It is always a good approach to try new things. Leave your comfort zone, no matter if it is art or your personal life. Break the rules you can‘t accept. Find yourself and check your own boundaries. Overcome stereotypes and respect every form of mind state (if it is not affecting or discriminating others). Leave the frame.“
Eine letzte Frage: Was soll Deine Kunst bei den Betrachtern auslösen?
Auf oberflächlicher Basis sollen die Betrachter von meinen Bildern beeindruckt sein. Die Arbeiten sollen im Gedächtnis bleiben, müssen aber nicht zwingend gefallen. Auf einer tieferen Ebene sollen meine Bilder Fragen stellen. Dabei sind sie aber keinesfalls Antworten.
Vielen Dank für das Interview.
UPCOMING SHOW
„Leaving the frame“
Soloausstellung von Kai Raws Imhof
Eröffnung:
Samstag, 12. September 2020, 18.00 – 21.00 Uhr
Gallery x23
Nathanaelstr. 7
04177 Leipzig
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All pictures by courtesy by the artist