Die Hamburger Autorin Jorinde Reznikoff hat einen Kommentar zum BundeskunstHALL OF FAME Graffiti und Street Art Festival (20.11. – 6.12.2015) in der Bonner Bundeskunsthalle verfasst. Jorinde Reznikoff befasst sich kritisch mit Thema Graffiti und Street Art und seit längerem explizit mit dem Schaffen des Hamburger Graffitikünstlers OZ († 25. September 2014). Jorinde Reznikoff ist unter anderem Mitherausgeberin des Buches Free OZ! Streetart zwischen Revolte, Repression und Kommerz (Assoziation A, 2014).
„Street Art“ und-oder „OZ“ – von widerspenstiger Zähmung
Ein Gastbeitrag von Jorinde Reznikoff
Street Art im Museum – das ist nichts Neues. Denn längst ist das, was als illegal-rebellische Selbstbehauptung der New Yorker Suburb Kids in den späten 1960er Jahre begann, in Museums- und Kunstbetrieb angekommen. Eine in einem staatlichen Museum organisierte Hall of Fame jedoch wäre durchaus als Zuspitzung oder gar Ende dieses Prozesses zu verstehen.
Überprüfen ließ sich dies jüngst in der von Allan Gretzki und Robert Kaltenhäuser kuratierten „BundeskunstHall of Fame“ in Bonn, die ein Hybrid zwischen Street Art-Ausstellung und Live-Painting/Spraying anbot. Dort wurden Betonwände, die Karl Lagerfeld und seine Equipe für eine Inszenierung puristisch-kunstvollster Haute Couture effektvoll-situationistisch eingesetzt hatte, für KünstlerInnen freigegeben, die ihre Technik und Ästhetik – zumindest ursprünglich – aus selbstermächtigend gefahrvollem Umgestalten von Straße und öffentlichem Raum beziehen. „Street Art“ sei einfach ein Name für eine bestimmte Kunstgattung, sagte auf mein Nachfragen, ob das noch Street Art sei, der Kurator Allan Gretzki. Es gehe um Kunst an sich, Begrifflichkeiten seien austauschbare Namen. Es habe allerdings auch Street Art-Vertreter gegeben, die die Einladung zu dieser höchst legalisierten Aktion in die Bundeskunsthalle abgelehnt hätten. Street Art könne aber auch einfach ein schönes Bild ohne politische Aussage sein.
Drei Wochen lang malten oder sprühten Aïda Gómez, JEANSPEZIAL, IL-Jin Atem Choi, Hyuro, Die Klangfiguren, Tika, Honet, Moses & Taps und andere designierte KünstlerInnen auf ihnen zugewiesene Flächen in unter dem Schutz bürgerlicher Anerkennung stehendem Raum. Gemäß der Graffititradition messen sich in einer „Hall of Fame“ die Besten der Besten. Waren sie es? Das Publikum schien begeistert, es durfte sogar mitmachen und ausprobieren, wie das geht – „Street Art“. Die wurde museumspädagogisch sinnvoll genutzt. Jeder Mensch, der für ein paar Minuten Sprühdose oder Pinsel in der Hand halten darf, bekommt natürlich für sich persönlich die Chance, einen neuen Aspekt von sich selbst oder „Kunst“ zu erhaschen, dieser potentielle Ausbruch in Lebendigkeit ist durchaus lobenswert. Die Frage ist nur, ob ein künstlerischer Ausdruck, der seine Kraft ursprünglich der Not und Dringlichkeit des „Ich sprühe, also bin ich“ verdankt, hier nicht zu Animation, Dekoration oder bestenfalls l’art pour l’art verkam. „The name ist the Faith of Graffiti“ sagt Cay 1973 in der „Bibel“ des Graffiti von Norman Mailer.
Möge Street Art im Museum nun „Street Art“ sein oder nicht, ist nicht diese Kraft, dieses Lebensverändernde das entscheidende Kriterium für große Kunst?
Erhellend zu bedenken gab diesbezüglich die Ausstellung des Hamburger Sprayers OZ, welche Lars Klingenberg im Rahmen der BundeskunstHall of Fame zu verantworten hatte¹. Abgesehen davon, dass dessen unpräzise Textdokumentation haarscharf daneben und dementsprechend verharmlosend und unverzeihlich war für einen Künstler, der seine illegale Arbeit im öffentlichen Raum mit insgesamt 8 Jahren Haftstrafe bezahlen musste und sich nur mit bleibend quälenden Bedenken dazu bereit erklärt hatte, Tafelbilder für seine juristische Verteidigung beizusteuern, zeigte die Auswahl der gezeigten Bilder ein klägliches Bild von dessen Kunst, also eigentlich keines. Teils hinter Glas gehängte, teils in Vitrinen abgelegte kleinformatige oder dekorativ gehängte Zeichnungen und Sprühbilder mit typischen „OZ“-Motiven, deren Urheberschaft (wie im Übrigen der zahlreicher OZ-Bilder) zu überprüfen wäre², wirkten wie die Zurschaustellung außereuropäischer indigener Kunst im 19. Jahrhundert, die, aus dem Kontext gerissen, ihres Sinns und ihrer Kraft völlig beraubt worden waren – kolonialisiert, domestiziert.
„Street Art“ im Sinne der New Yorker Kids und ihres Erben OZ wollte Seh- und damit Seinsgewohnheiten verändern und im Materialistischen gefangenhaltende Perspektiven aufreißen. In FAITH – Hoffnung, dass hinter dieser Wand da noch eine andere Wirklichkeit warte.³
¹) Der Kurator Allan Gretzki zeigte sich erstaunt über meine Bedenken gegenüber der von Lars Klingenberg sub-kuratierten OZ-Ausstellung und erklärte, diesen nachgehen zu wollen. OZ‘ Werk messe er größte Bedeutung zu.
²) Die Aufarbeitung des Werks von OZ steht noch völlig am Anfang. Da „Street Art“ ohnehin den klassischen bürgerlichen Werkbegriff hinterfragt und zu erlaubter Nachahmung und Fortsetzung des einmal in den öffentlichen Raum Gesetzten einlädt, gibt es auch um das Werk von OZ herum ein breite Grauzone, die eine Zuschreibung schwierig macht, aber vielleicht nicht unmöglich.
³) Siehe dazu „Ist ‚OZ’ oder was ist Kunst, wenn OZ Künstler ist. OZ und Street Art – ein Ausbruch aus den Kategorien der Kunstgeschichte?“. In: „Free OZ! Streetart zwischen Revolte, Repression und Kommerz“, hg. von Andreas Blechschmidt, KP Flügel, Jorinde Reznikoff, Hamburg 2014.
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Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Gastbeitrag. Gastbeitrag entsprechen nicht immer automatisch der Meinung der Redaktion.
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Titelfoto © Jorinde Reznikoff