Nach dem Gastbeitrag „Street Art“ und-oder „OZ“ – von widerspenstiger Zähmung“ von Jorinde Reznikoff Ende letzten Jahres über die BundeskunstHall of Fame, hat Robert Kaltenhäuser, einer der Kuratoren des Graffiti und Street Art Festivals, mit einem offenen Brief geantwortet. Auch diesen Text veröffentlichen wir als unabhängigen Gastbeitrag.
Robert Kaltenhäuser ist, neben Allan Gretzki, einer der Kuratoren das Graffiti und Street Art Festival BundeskunstHall of Fame (Bundeskunsthalle, Bonn, November 2015), wobei er speziell für den „Showroom“ genannten klassischen Ausstellungsbereich verantwortlich war. Der Autor ist ein freier Publizist und Kurator. Kaltenhäuser befasst sich kritisch mit dem Thema Graffiti und Street Art.
OZ und/oder OZ(M) – Offener Brief
Ein Gastbeitrag von Robert Kaltenhäuser
Liebe Jorinde Reznikoff,
ich wähle die (öffentliche) persönliche Ansprache. Das macht den Einstig direkter. Ich habe nichts gegen Kritik, im Gegenteil, Kritik ist wichtig, es gibt zuwenig davon. Damit Kritik aber fruchtbar werden kann, sollte sie wohlinformiert und im Idealfall auch differenziert sein. Sie sollte sich genau ansehen, was sie kritisiert und nicht zuletzt ihre eigenen Verflechtungen und Interessen transparent machen. Diese Anforderungen erfüllt Dein Text über OZ in der Bundeskunsthalle nur sehr bedingt, wenn überhaupt, was ich im Folgenden Dir, und dem Leser, etwas polemisch zugespitzt „erhellend zu bedenken“ geben möchte.
Zunächst ein paar Anmerkungen zu den Grundlagen, auch Hausaufgaben genannt: Du zitierst CAY 161 aus Norman Mailer mit seiner treffenden, titelgebenden Zusammenfassung des Sinngehalts der damaligen Writingkultur. Damit hättest Du eigentlich das passende Werkzeug zur Hand, um zu erkennen, dass die „’Street Art‘ im Sinne der New Yorker Kids“, das Nordamerikanische Writing, sich weniger aus einer „Not und Dringlichkeit“ speiste, die unsere „Seh- und damit Seinsgewohnheiten verändern und im Materialistischen gefangenhaltende Perspektiven aufreißen“ möchte (nebenbei: was für ein Klischee!), als vielmehr aus überschiessender Kraft und Freude am eigenen Tun. Es war eher ein Do-It-Yourself-Starsystem als ein #aufschrei der Marginalisierten1.„Faith“ steht dabei weder für „Glaube“, wie viele meinen, noch für die von Dir hineininterpretierte „Hoffnung“ (eigentlich: Zuversicht), sondern für „Treue“, das heisst: Beschränkung, Dogma2. Obwohl er ihn oft geschrieben hat, war der Name sicher nicht das Dogma von Walter Josef Fischer alias OZ. Bei ihm war auch graffitiästhetisch eher „Fuck the Norm“ angesagt. Das Werk von OZ unter die Kategorien des New Yorker Graffiti-Writing zu subsumieren, zeugt von großer Unkenntnis.
Die „Bibel des Graffiti“ ist auch nicht der sehr lesenswerte Essay von Mailer und schon gar nicht irgendwelche unterhaltsamen und anregenden, aber empirisch unzutreffenden Fieberträume eines Jean Baudrillard von einem „Aufstand“ angeblich „leerer Signifikanten“, sondern, wie jeder weiß, der Fotoband „Subway Art“ von Martha Cooper und Henry Chalfant3. Soviel Hintergrundwissen oder, wenn nicht vorhanden, Recherche, sollte schon vorausgesetzt werden.
Dass es sich bei der „BundeskunstHall of Fame“ nicht um eine Hall of Fame im Sinne der Graffitiszene handelt, sondern um den Titel einer prozessual inszenierten, experimentellen Ausstellung, der spielerisch mit dieser Bedeutungsverschiebung umgeht, müsste eigentlich klar sein. Da es sich um eine Frage des allgemeinen Sprachgebrauchs handelt, darf man das verschrieene Onlinelexikon konsultieren, und da findet sich die Definition als „Denkmal-Raum“ (real oder fiktiv), wo die „bedeutendsten Vertreter des jeweiligen Bereiches geehrt werden.“ Einzig im Bereich Graffiti ist es die „allgemeine Bezeichnung für legale Graffitiwände“. Von einer solchen freigegebenen Graffitiwand im Museum kann daher keine Rede sein. Man sieht: Missverständnisse können fruchtbar sein, müssen es aber nicht. Nun war die Benennung der Show als „Hall of Fame“ vielleicht zu schwierig dechiffrierbar für Leute, die doppelte Lesarten nicht gewohnt sind, vielleicht wurde dieser Hintergrund auch nur nicht konsequent genug kommuniziert.
Dass hier ausgewählte Künstler „auf ihnen zugewiesene Flächen in unter dem Schutz bürgerlicher Anerkennung stehendem Raum“ malen, wie Du es so süffisant wie ressentimentgeladen formulierst, ist dagegen sachlich erst einmal richtig, aber auch nicht weiter schlimm. Interessant wird es doch, sobald man bedenkt, dass ein entscheidendes Auswahl- und Relevanzkriterium bei einigen die konsequente illegale Arbeit im Aussenraum war. Das gilt auch und gerade, aber nicht nur, für OZ. Undifferenzierte Fundamentalkritik an einer solchen Präsentation lässt sich wohl nur aufrecht erhalten, wenn man dem Museum als öffentlichem4 Raum, wo ästhetische Phänomene kultureller Ausdrucksweisen konzentriert und im besten Falle kontextualisiert präsentiert werden, jegliche Daseinsberechtigung per se abspricht, oder dem „Bürgerlichen“ als solchem, was auch geht, wenn man es sich einfach macht und dabei den Citoyen vergisst. Kann man – Ich tue es aber aus guten Gründen nicht und finde es im Gegenteil interessant, wenn Künstler die damit einhergehenden Ambivalenzen erkennen und damit umgehen, wie in der Bundeskunsthalle zum Beispiel Hyuro oder Moses und TapsTM. Dann werden die Verhältnisse zum Tanz gebeten, dann kann auf einmal sein, was nicht sein darf, dann werden dieselben Aktivisten von Instanzen desselben ‚Systems‘, das sie sonst verfolgt, für dieselben(!) Taten legitimiert und nobilitiert. Das schützt sie draußen nicht vor Strafverfolgung, ist aber ein wunderschön herausgestrichener Widerspruch, der sich nicht einfach in Wohlgefallen auflösen lässt. Reinheit und reine Lehre dagegen sind etwas für obskure Politsekten, für die Kunst sind sie tödlicher als jede museale Vereinnahmung. Selbst der grossartige Künstler Chita, von dem Allan Gretzki Dir im Radiointerview erzählt hat, dieser habe nicht in die Bundeskunsthalle gewollt, dieser unkorrumpierbare Held der Szene, würde jederzeit dort ausstellen, sobald man ihm eine grosse Einzelausstellung mit riesigen weissen Wänden ermöglicht5. Er ist sich nur zu fein als einer unter vielen. Du siehst, oft sind Reinheit und Idealismus eher von aussen hineinphantasiert, die individuellen Antriebe aber sehr unterschiedlich – eben individuell.
Du fragst, ob „Street Art“ im Museum noch Street Art ist? – Natürlich nicht! Im Museum gibt es keine Street Art – genausowenig, wie es dort Land Art gibt. Es gibt dort Dokumentationen und Artefakte von Land Art-Künstlern, die im Kontext dieser zu verorten sind, die „Non-Sites“ gegenüber den „Sites“, in der Begrifflichkeit des Land Art-Künstlers Robert Smithson. Was es analog in Bezug auf die sogenannte Street Art also sehr wohl im Museum geben kann, sind solche, Bezüge herstellende, Werke:
Das gerahmte Foto eines getaggten Spruchs, der auf intelligente Weise in der Illegalität dieselbe thematisiert; Skizzen und Dokumentationen der Entstehung und Vernichtung eines Murals, das den Anwohnern derart anstößig erschien, dass es durch diese illegal übersprüht wurde; Videoaufnahmen einer konzeptuellen Serie aus drei mehr und mehr abstrahierten Wholecars, die sowohl auf die eigene Praxis des Trainbombing mit Pseudonym als auch die allgemeine Kunstgeschichte referieren, garniert durch einen Auftritt, den es eigentlich gar nicht geben dürfte – „Deutschlands dreistester Sprayer“ (BILD) live in der Bundeskunsthalle; Bilder von gelungenen Adbusting-Interventionen, fernab von plattem Politkitsch, und deren humorvolle Abwandlung auf historischen Illustrationen; Verhöhnung der Sicherheitsbehörden und des Sauberkeitsfetischs der Verkehrsbetriebe; Drei Buchstaben, die jeder Bonner Bürger täglich in den Strassen sieht, als Wandbild im Museum und als Signatur auf Fotos punkig gerockter S-Bahnen, die statt Namen kontroverse Begriffe in die Rush-Hour transportieren; Installationen und poetische Reflexionen über die unzugänglichen, verbotenen Orte der Großstadt von einem der Hauptprotagonisten des europäischen U-Bahngraffiti der 1990er Jahre; Eine augenzwinkernd auf ‚museal‘ gestylte Arbeit, die nur signifiziert, bzw. zertifiziert, dass sie ein ‚museales‘ Werk ebenjener Täter ist, die draußen täglich für Kopfzerbrechen bei der Sonderkommission und Adult Entertainment bei Writern und Bahnpendlern sorgen; Nicht zuletzt OZ: einige Originalmalereien, wobei ‚original‘ sich hier nur auf das Materielle, die ‚Hand‘ des Künstlers bezieht, nicht auf den Kontext. Einige Fotografien, extra angefertigt von Lars Klingenberg, um eben den unverzichtbaren Kontext nicht aussen vor zu lassen.
Den kurzen Saaltext dazu nennst Du „unpräzise“, „verharmlosend“ und „unverzeihlich“, und das im Grunde nur, weil Du in der sachlich zutreffenden Aussage, dass der Künstler „einige Male zu Haft- und Geldstrafen verurteilt“ wurde, eine genaue Aufsummierung der Gesamthaftdauer von „insgesamt 8 Jahren“ vermisst. Aus einer derart kleinen Gewichtungsfrage ein Skandälchen kochen zu wollen, kommt mir arg an den Haaren herbeigezogen vor und ist in der übertriebenen Bewertung reichlich absurd.
Du kritisierst „hinter Glas gehängte, teils in Vitrinen abgelegte kleinformatige oder dekorativ gehängte“ OZ-Arbeiten als „Zurschaustellung“ als „aus dem Kontext gerissen“, analog der Präsentation „außereuropäischer indigener Kunst im 19. Jahrhundert“. Ist Dir aufgefallen, dass in der Vitrine nur einige Fotos lagen, keine Artefakte, keine aufgespiessten Schmetterlinge, keine Schrumpfköpfe? Die Fotos auf Deiner eigenen Website zeigen es. Wenn Du, was ja vielleicht der Fall ist, ein OZ-Original besitzt, würdest Du es nicht zum Schutz einrahmen? Würdest Du es auf der Strasse ankleben, wo es hingehört? Ich denke, Du konstruierst hier mit Absicht einen Popanz. OZ wurde in der Kunsthalle genau so präsentiert wie andere aus dem Spektrum radikaler, interessanter Graffitikunst auch. Fotos von Moses und TapsTM waren ebenfalls in einer Vitrine zu sehen. Werden diese dadurch zu Affen im Zoo? Es ist Dir vielleicht gar nicht bewusst, aber gerade durch Deine Argumentation exotisierst Du OZ, machst ihn zum ‚Wilden‘, der nicht hineinpassen soll in eine Auswahl konsequent illegal arbeitender autonomer Künstler. Besonders ärgerlich finde ich persönlich, dass Du (mit Absicht?) im Text die Tatsache unterschlägst, dass den Leinwand- und Papierarbeiten ausdrücklich Fotografien von illegalen Graffitiwerken zur Seite gestellt, bzw. gehängt waren6. Das berührt den Kern meiner kuratorischen Arbeit und bietet meines Erachtens schon mal mehr Kontext als irgendeine instrumentalisierende Opfer-des-Systems-Mythologie. Es ist eigentlich ganz simpel: mit den Leinwänden wurde OZ‘ Handschrift gezeigt und mit den Fotos klargemacht, wo er eigentlich gearbeitet hat. Vielleicht ist das immer noch nicht genug, aber wer das nicht will, darf solche Bilder auch nicht in ein Buch drucken. Was Du aber selbst tust7, und zwar mit Leinwandarbeiten, die abgedruckt wohl noch weniger wirken als live in einem Museum. Es scheint, und ab hier wird es schal, als sei das für Dich genau solange in Ordnung, wie damit die mit Dir – inwiefern eigentlich genau? – verbandelte ‚OZM‘-Galerie von Alex Heimkind (Bildnachweis und positive Erwähnung im Text) promotet wird. Mit rechtschaffender Inbrunst kritisiert werden kann derselbe Sachverhalt dagegen plötzlich, wenn der Leihgeber einmal nicht Heimkind heisst. Das ist delikat und ich sage mal mit einem Zitat des umstrittenen Gegenstandes: „:)“
Aufgrund derart zweifelhafter Motivation eine so künstlich aufgeblasene Kontroverse vom Zaun zu brechen, erweist der Sache einer ernsthaften Diskurses über Präsentationformen, dem ich sicher nicht abgeneigt wäre, und vor allem dem verstorbenen Künstler keinen guten Dienst. Es fällt schwer, den Grund dafür nicht in kleinlichen Eifersüchteleien verschiedener Publizisten, Sammler und Galeristen zu vermuten, denen es kaum um OZ geht, sondern nur darum, wer mitspielen darf und wer nicht8, was umso absurder ist, als das wir wahrscheinlich bei freundlicher Ansprache mehr als offen gewesen wären, eine Position aus dem OZM-Dunstkreis mit einzubeziehen. Wie leider schon zu Lebzeiten scheint mir der Künstler hier nur Spielball von Selbstdarstellern zu sein, die sich nicht einmal entblöden, sich gegenseitig der Fälschung zu verdächtigen. Wenn z.B. ein Kunsthändler solche Dinge über die ‚Konkurrenz‘ verbreitet9, würde ich als Journalist, was Du ja sein willst, mal recherchieren, was für kommerzielle oder sonstige Interessen ihn dazu treiben. Oder ob an den Behauptungen etwas dran ist. Stattdessen machst Du Dich damit gemein, indem Du Dich derselben Andeutungen bedienst. Als ich dem Herausgeber die vorliegende Antwort zu schreiben anbot, bat er mich nur, die Sache nicht in eine „Schlammschlacht“ ausarten zu lassen. Nichts liegt mir ferner. Die Schlammschlacht jedoch ist offensichtlich längst in vollem Gang, und Du, Jorinde, bist darin Partei.
Insofern: „Free OZ“! Ja, vor allem von der Vereinnahmung durch selbsternannte Nachlassverwalter und Fürsprecher, die auf seinem Grab ihr dünnes Süppchen kochen.
¹) Dass das originale Writing auch einen Voice-of-the-Ghetto-Aspekt hatte oder annehmen konnte, ist ebenso richtig, es sollte aber keinesfalls verallgemeinert und darauf verengt werden.
2) Wie der deutsche Kunsthistoriker Dr. Harald Hinz überzeugend herausgearbeitet hat.
3) Dieses Buch, sowie der Dokumentarfilm „Style Wars“ von Tony Silver und Henry Chalfant, den Jorinde Reznikoff sogar kennt. Wer das nicht weiß, sollte sich bei dem Thema vielleicht etwas zurückhalten. Darüber hinaus wird eine Lektüre von Craig Castlemans „Getting Up. Subway Graffiti in New York“ auch nicht schaden, wenn man sich ein paar Grundlagen anlesen möchte.
4) Dass es diesem Ideal oft nicht gerecht wird, steht, angefangen bei den Eintrittspreisen, auf einem anderen Blatt, stellt aber kein grundsätzliches, sondern nur ein bei vorhandenem politischen Willen leicht praktisch zu lösendes Problem dar.
5) Wiederholte Aussage des Künstlers gegenüber dem Autor in der Vergangenheit.
6) Obwohl die Fotos und deren mindestens gleichwertige Gewichtung sogar auf Jorinde Reznikoffs eigenen Fotos deutlich zu sehen sind.
7) Dieser Text aus dem Buch „Free OZ“ wirkt sehr viel differenzierter, kenntnisreicher und intelligenter als der vorliegende, trotz einiger Merkwürdigkeiten hauptsächlich in Bezug auf das New Yorker Writing. Auffällig positiv werden aber auch darin schon der Galerist Heimkind von der ‚OZM‘ Galerie und der Anwalt Andreas Beuth eingeordnet, die Konkurrenten des im vorliegenden Text scharf angegangenen Lars Klingenberg. Frühere Ausstellungen von OZ etwa in der ‚Vicious-Gallery‘ werden dagegen – bewusst, so scheint es – verschwiegen.
8) Meine eigenen Hintergrundgespräche mit in dieser Sache neutralen Szeneinsidern aus Hamburg bestätigen das.
9) Nach kurzer Recherche hatte ich die Information, dass es schon öfter diese Versuche übler Nachrede gab, auch gegen Leute, die sich lange vor ihm des – wohl leicht beeinflussbaren – Walter Josef Fischer angenommen hatten, und die – leider, leider – stichfeste Beweise der Echtheit hatten. Was haben wir gelacht. Wahrscheinlich weiß Jorinde Reznikoff das sogar besser als ich.
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Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Gastbeitrag. Gastbeiträge entsprechen nicht immer automatisch der Meinung der Redaktion.
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Titelfoto: urbanshit (CC BY 2.0)