„Urban Art ist die demokratischste, globale Kunstbewegung“ Die MONUMENTA Kuratoren im Interview

14. September 2018
7 mins read

In Leipzig „vereinen sich Street und Contemporary Art, Graffiti, Installation, Musik, Performance, und Fine Art zu einem Gesamtkunstwerk“ namens MONUMENTA.

Jana Fux hat die Ausstellung in Leipzig auf dem Gelände der Pittlerwerke besucht und mit den Kuratoren Jan Fiedler und Denis Leo Hegic gesprochen.

Jana Fux: Euer neues Ausstellungsformat nennt sich Monumenta, dabei fällt mir zunächst einmal das bedeutungsvolle Denkmal ein – andererseits sofort auch die Documenta. Handelt es sich bei der Namensgebung um genau diese Mischung? Bezweckt ihr eine Gegenüberstellung? Ein „in Anlehnung an…“ Eine Kampfansage? Oder was ist Eure Grundidee?

Jan Fiedler: Der Name Monumenta hatte seinen Ursprung zunächst einmal in der schieren Größe der Anlage, den monumentalen Hallen. Zum anderen beschäftigen wir uns in der Ausstellung selber mit dem Thema der Monumentalität. Der Untertitel der Monumenta ist „Intelligence of many“. Im Gegensatz zu einem Denkmal oder Monument, das eine singuläre Idee, einen Führer auf den Sockel stellt, gibt die Monumenta in ihrer Hauptinstallation, dem Monument-of-Many, 100 verschiedenen Visionen und Utopien den Raum.

Jana Fux: Die Pittlerwerke im Norden Leipzigs sind auf jeden Fall in ihrer Form und ihrem Verfall für Liebhaber verlassener Plätze einen Besuch wert. Wie habt ihr diese Location auserkoren?

Jan Fiedler: Tatsächlich hat die Location uns auserkoren.

1UP (Photo: Sebastian Adam, Michael Bomke, André Spilker)

Jana Fux: Das klingt nach einem willensstarken Monument. Wie kam das?

Jan Fiedler: Im Frühjahr hatten wir eine sehr erfolgreiche Ausstellung in Berlin. Die Betreiber der Pittlerwerke waren auf der Suche nach Inhalten mit denen die Hallen wiederbelebt werden können und kamen so auf uns zu.

Jana Fux: Diese alten Werkzeugfabrikhallen passen auf jeden Fall zu Eurem inhaltlichen Thema „Intelligence of Many“ und tragen, nebst den spannenden künstlerischen Positionen, zu der politischen Richtung bei. Wie habt Ihr die Künstler und Werkauswahl getroffen?

Jan Fiedler: Auch bei der Auswahl der Künstler und Werke stand immer das Prinzip der „Intelligence of many“ ganz oben. Wir wollen nicht eine Kunstrichtung auf ein weißes Podest heben und zur einzig wahren Ikone stilisieren. Wir wollen die Größe der Hallen nutzen, um möglichst vielen verschiedenen künstlerischen Positionen ihren Raum zu geben, von Malerei über Bildhauerei, Installation, Graffiti, Urban Art und Film bis hin zu virtueller Kunst. Dabei war das Ziel nicht ein harmonisches miteinander, sondern wir haben es bewusst auf Brüche ankommen lassen, wobei sich auch Ergänzungen ergeben habe zwischen einzelnen Werken, die so vielleicht nicht vorhersehbar waren. Du sprichst die politische Komponente an, auch das ist eines unser Anliegen. In der Welt macht sich eine gewisse Unzufriedenheit breit, man hört Sätze wie „das Volk ist unzufrieden, man weiß aber nicht genau weshalb“. Und es gibt politische Kräfte, die den Menschen wieder Utopien bieten. Ein Trump beispielsweise, der verspricht „I will make America great again“. Und das Ganze im wahrsten Sinne des Wortes mit einem gigantischen Monument untermauert, denn er „will build the most beautiful wall“. Aber weshalb sollen wir dieses Feld rechten Kräften überlassen? Wir wollen uns die kindische Freude am Maßstab nicht nehmen lassen. Deshalb machen wir ein Baby groß, und machen Marx, Engels und Lenin leicht, relativieren ihr historisches Gewicht im Form der Arbeiten von Various & Gould, die mit ihrem City Skins Projekt den Monumenten der Philosophen das Unverrückbare genommen haben. Auf diese Künstler sind wir bewusst zu gegangen, genau wie beispielsweise auf Rocco und seine Brüder, die mit ihrer Installation Dezernat 52 ebenfalls eine gesellschaftskritische Komponente in die Ausstellung bringen.


Kurator Denis Leo Hegic vor der Installation Angry Boy des slowakischen Künstler Viktor Frešo (Photo: Nika Kramer)

Installation Dezernat 52 von Rocco und seine Brüder (Photo: Sebastian Adam, Michael Bomke, André Spilker)

Jana Fux: Das kommt in dem Raum, den ihr „Kirche“ nennt, sehr gut rüber. Was hat es mit den anderen Räumen, dem Club, dem Hof und der Vampirhalle auf sich? Was für Geschichten erwarten den Besucher dort?

Jan Fiedler: Die Vampirhalle ist für den Besucher nicht zugänglich und ist einzig durch ein in dem Werk von Wenu an der Holzwand, die Kirche von Vampirhalle trennt, herausgeschnittenes Guckloch erfahrbar. In der Halle steht eine sich drehende Skulptur des Künstlers Praxis Dr. Molrok. Auch hier wieder das Spiel mit dem Maßstab: Man muss durch etwas kleines schauen, um das Große zu sehen.


Installation Play with art (Photos: Nika Kramer und Michael Bomke)

Der Hof hat seine Bezeichnung aus den in ihm aufgestellten Eisengittern, die das Gefühl eines urbanen Hinterhofes vermitteln. Das führte zu der Entscheidung, dem ikonischsten Sport der Straße, dem Basketball zu widmen. Auch hier wieder mit einem Tool der Ikonisierung, der Repetition. Aus einem Spiel, das aus zwei Körben, einem Ball und einem vorgegebenen Raster von Linien besteht, haben wir eine Installation gebaut, die aus 100 Körben, 34 Bällen und einer Vielzahl an bunten Linien besteht. Die Körbe sind dabei zufällig angeordnet, um eine militärisch anmutende Gleichschaltung zu vermeiden. Sport und Kunst sind die besten non-verbalen Kommunikationsmittel und die Installation „Play with art“ soll Schwellenängste abbauen. Insbesondere für Kinder soll hier Kunst erfahrbar, fühlbar und auch hörbar gemacht werden.

Im Monumenta Klub steigt jeden Samstag eine Party – AfterArtRaves gewissermaßen, geht aber freilich auch ohne vorherigen Ausstellungsbesuch. Kommenden Samstag zusammen mit dem deutschlandweit bekannten Label Laut & Luise. Wird fett.

Jana Fux: Wow, das klingt nach jeder Menge Möglichkeit selbst zu partizipieren. Habt ihr weitere spezielle Angebote der Kunstvermittlung oder sich als Gast kreativ einzubringen?

Jan Fiedler: Es gibt diverse Möglichkeiten wie kreative Workshops oder beispielsweise den Raum von IMRSV arts, wo man als Besucher Teil des Kunstwerke wird und dieses durch seine Handlungen auch maßgeblich mit beeinflussen kann. Oder einfach auf einen der Scooter von Dave the Chimp steigen und die Ausstellung rollend erfahren.


Unterschiedliche Künstler (Photo: Sebastian Adam, Michael Bomke, André Spilker)

Jana Fux: Auch das scheint bezüglich der Intelligenz der Vielen eine runde Sache zu sein. Ihr habt ein Manifest mit drei Prinzipien verfasst: Skalierung, Repitition und Blingbling. Hat dies ähnlich wie die Manifeste anderer Kunstströmungen für Euch Möglichkeit eine Allgemeingültigkeit für die Urban Art oder gilt es nur für den zeitlichen und räumlichen Kontext? Oder stellt Ihr es gar zur Diskussion? Das wäre ja in diesem Sinne das konsequenteste…

Denis Leo Hegic: Die Intelligence-of-Many ist ein Ausdruck der für die Ausführung von Monumenta von zentraler Bedeutung ist. Aber darüber hinaus ist es nicht nur ein Modell für die Kuration, welches wir zukünftig oft sehen werden, sondern es ist ein Modell für Kooperationen auf verschiedenen Gebieten in einer erfolgreichen modernen Gesellschaft.

Die Informationen, mit denen wir uns in jedem Aspekt unseres Lebens täglichen auseinandersetzen müssen, haben so ein hohes Niveau an Komplexität erreichten, dass das Zusammenarbeiten auf eine selbstlose Art und Weise und das Aktivieren der Intelligenz der Vielen das einzige Konzept ist, welches wahre (und relevante) Veränderung hervorbringen kann. Auch wenn die Welt in diesem Moment anders erscheinen mag, ist es tatsächlich so, dass die Ära der ich-bezogenen Egomanen vorbei ist. Das sind die die guten Nachrichten!

Um etwas zu kuratieren, was wir „Urban Art“ nennen, gibt es absolut keine anderes Möglichkeit als es mit der Intelligence-of- Many zu machen. Diese Kunstform ist verwurzelt und schöpft ihre Energie aus dem Geist der (urbanen) communities. Die Intelligenz der Vielen ist der Gegenbegriff zur Dummheit des Einzelnen. Und es ist jedem seine Entscheidung inwiefern er daran teilnehmen möchte. Unser kuratorischer Anspruch ist es, sich die kindliche Freude an „Sachen“ zu erhalten, manches naiv anzugehen und stets sagen zu können „Ich habe keine Ahnung über Kunst“, denn nur so behältst Du einen Geist, der offen für neuen Input und neue Ideen ist.

Various & Gould City Skins (Photo: Nika Kramer)

Jana Fux: Würdest Ihr sagen, dass das der Unterschied zwischen der sogenannten „fine art“ und „urban art“ ist, dass es dort keine elitäre Haltung geben kann oder sollte?

Denis Leo Hegic: Der Hauptunterschied besteht darin, dass Urban Art oft ungefragt, illegal sich ihren Ausdruck im Stadtraum sucht. Das hat Auswirkung auf alles: auf die Technik, den Speed mit dem man die Pieces macht und auch oft auf die Thematiken, die behandelt werden. Urban Art ist die demokratischste, globale Kunstbewegung: was heute morgen in den Nachrichten ist, schreibt womöglich einer am Abend auf einer der vielen Betonwände dieser Welt.

Jan Fiedler: Eine Abgrenzung zwischen der sogenannten „fine art“ und „street art“ kann wenn überhaupt nur stilistisch gesehen werden. Denn der Impuls Kunst zu schaffen ist der selbe, dabei ist es irrelevant ob es im Studio oder auf der Straße passiert. Was Denis sagt bezüglich demokratischste Kunstform hat definitiv seine Berechtigung, da street art wirklich jeden erreicht, egal, ob er zu Fuß, in der Bahn oder in der Limousine unterwegs ist. Denn wenn es etwas gibt, was die beiden Kunstarten, so man sie denn unbedingt voneinander trennen will, unterscheidet, ist das Publikum. Und ein Anliegen der Monumenta ist es, dieses zusammenzuführen um dadurch ganz im Sinne der Intelligenz der Vielen neue Impulse zu generieren.


Jesus aus Treibholz vom kubanischen Künstler Jorge César Sáenz Gómez (Photo: Michael Bomke)

Jana Fux: Was für eine Bedeutung hat Leipzig für Euch als Standpunkt?

Jan Fiedler: Leipzig hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als kultureller Standort etabliert, die Leipziger Schule ist international ein Begriff und durch die Monumenta haben wir die Möglichkeit mit künstlerischen Positionen, zu denen wir seit langem aufschauen, direkt in Kontakt zu treten und jetzt noch unmittelbarer die Gelegenheit haben von ihnen zu lernen.

Jana Fux: Der alljährliche Spinnereirundgang hat letztes Wochenende ebenfalls stattgefunden? Besucht Ihr solche Veranstaltungen? Und wie hat es euch gefallen?

Jan Fiedler: Den Spinnereirundgang haben wir uns natürlich nicht nehmen lassen. Wir hatten Verabredungen mit diversen Künstlern und Galeristen vor Ort. Auch bei der Monumenta haben wir ja Kooperationen, beispielsweise mit der Reiter Galerie, die ja auch eine Dependance in der Spinnerei betreiben. Der Rundgang war wie immer ein herrlicher Tag mit ausgezeichneter Kunst und spannenden neuen Verbindungen.


Monumenta Team – Dorian Mazurek – Sabrina Markutzyk – Jan Fiedler – Denis Leo Hegic – Niklas Jedowski (Photo: Michael Bomke)

Jana Fux: Habt ihr schon neue Projekte in der Schwebe? Und wie geht es mit der Monumenta weiter?

Jan Fiedler: Wir fokussieren uns momentan voll und ganz auf die verbleibenden Wochen bis zum 13. Oktober. Zwischendurch wird die Monumenta am Wochenende vom 27. Bis 29. September einen Ausflug nach Wien machen und dort auf der Parallel einen Raum gestalten. Alles weitere wird man danach sehen.

Jana Fux: Wir sind gespannt. Haltet uns auf dem Laufenden. Vielen Dank für Eure Zeit!

 

Zu sehen ist die Monumenta 2018 noch bis zum 13. Oktober in Leipzig.

Am Börnchen 2 04159 Leipzig
S Leipzig-Wahren

Weitere Informationen www.monumenta.art

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