Geldstrafe für Liegestütze-Performance auf dem Altar einer katholischen Kirche: Alexander Karle im Interview

1. Februar 2017
7 mins read
Als Teil einer Videoarbeit hat der Saarbrücker Künstler Alexander Karle auf dem Altar einer  Kirche insgesamt 30 Liegestütze gemacht. Auf die 90 Sekunden lange Performance folgte eine Anzeige der katholischen Kirche, eine Gerichtsverhandlung und die Verurteilung zu einer Geldstrafe durch das Saarbrücker Amtsgericht. Wir haben mit dem Künstler über seine Performance, die Freiheit der Kunst und die Rolle der Kirche gesprochen.

Der Saarbrücker Künstler Alexander Karle im Interview

Urbanshit: Fangen wir ganz von vorne an: Du wurdest gerade für eine Kunstperformance in einer katholischen Kirche vom Amtsgericht Saarbrücken zu einer Geldstrafe in Höhe von 700 Euro verurteilt. Wie kam es dazu?

Alexander Karle: Ich hab im Jahr 2016 die Videoarbeit „Pressure to perform“ erstellt, bei der man sieht, wie ich auf dem Altar der Basilika Saarbrücken, eine barocke Kirche, Liegestütze mache; so lange bis ich keine Kraft mehr habe. Anschließend gehe ich aus dem Bild. Eine kleine, einfache Kamera, one take, kein Schnitt. Dazu kam eine Aufnahme, bei der man aus einer Innenhof-Perspektive die Skyline Saarbrückens sieht, mit einem Kirchturm und den beiden sich immerwährend drehenden Logos von Mercedes Benz und der Sparkasse. Auf der Rückseite der Logos ist noch eine Uhr zu sehen ist, als höchster Punkte der Stadt.

Diese beiden Videoteile sollten dann für 14 Tage im Loop in einem Schaufenster eines leerstehenden Ladenlokales laufen, sowie in einem Galerie Off Space als Beitrag zu einer Gruppenausstellung mit dem Titel „Milk the body“. Dazu kam es aber leider nicht, da bereits am zweiten Tag eine Frau der katholischen Gemeinde das Video sah und einen empörten Mopp vor dem Schaufenster mobilisierte, welcher das Abschalten forderte, sowie die Polizei und die Staatsanwaltschaft anrief. Daraufhin bekam der Ladenbesitzer Angst und bat mich die Arbeit abzuschalten, was ich selbstverständlich auch, aus Rücksicht auf sein kleines Kebab-Restaurant nebenan, tat. Kurze Zeit später meldete sich ein Redakteur der Saarbrücker Zeitung und erkundigte sich über den Vorfall, woraufhin ich ihm alles erzählte und das Video zur Ansicht sendete. So kam es zur ersten Pressemeldung und nach dem „Pressure to perform“ erneut in besagtem Galerie Off Space, unter anderem als offizieller Beitrag zur Jahresausstellung der HBK Saar, lief, sprang die gesamte regionale Presse darauf an, in einem Maße wie es zuvor bei einem Kunstwerk in der Großregion noch nie der Fall war. Unter anderem liefen Ausschnitte des Videos mehrfach innerhalb eines Monats in den Saarländischen Abendnachrichten. Zudem wurde in den Sozialen Medien wild kommentiert und diskutiert. Nachdem wieder etwas Ruhe eingekehrt war und man davon ausging, dass die Sache nicht vor Gericht kommen würde, erhob die Staatsanwaltschaft Saarbrücken Anzeige und forderte eine Strafe in Höhe von 1.500 Euro. Dies wollte ich natürlich nicht akzeptieren ließ die Sache vor Gericht prüfen. Das gesamte Video stellte ich dann erst eine Woche vor der Verhandlung hier bei urbanshit.de online. Zum einen bin ich niemand der auf Klickjagd aus ist, zum anderen bevorzuge ich die Präsentationen der Performance im Kontext von Ausstellungsräumen. Allerdings dachte ich mir, dass jeder die Möglichkeit haben sollte das Video zu sehen, wenn es Gegenstand der Verhandlung vor Gericht wird. Zudem besteht ein öffentliches Interesse an dem Fall, da folgende Urteile in ähnlichen Prozessen um die Kunstfreiheit sich auf dieses Urteil beziehen werden.

US: Das heißt, die Anzeige kam direkt von der katholischen Kirche?

AK: Ja, die Anzeige kam von der katholischen Kirche, wobei der Pastor der Basilika Druck vom Bistum Trier bekam, welches dringend auf die Anzeige bestand.

US: Was genau wurde dir in der Anklage vorgeworfen?

AK: In der Anklage wurde mir Hausfriedensbruch sowie Störung der Religionsfreiheit vorgeworfen.

US: Deine Verteidigung hat mit der Freiheit der Kunst argumentiert. Was waren die Argumente der Richterin? Was hat am Ende dazu geführt, dass du du schuldig gesprochen wurdest?

AK: Zunächst sprach die Staatsanwältin von Hausfriedensbruch da ich die symbolische rote Kordel, welche den Altarraum abtrennt, überschritten habe (die Tür der Kirche war übrigens wie fast jeden Tag geöffnet). Dazu sah sie das Durchführen der Liegestütze als grobe beschimpfende Handlung an. Das Recht der Kunst lehnte sie ab, da dieses aufhöre, wo andere Gesetze beginnen würden.

Nachdem mein Anwalt einen Text zu der Videoarbeit von Prof. Georg Winter verlesen hatte und mehrfach darauf hinwies, dass keinerlei Schaden entstanden sei, der Aufenthalt im nicht zu betretenden Altarraum nur etwa 3 Minuten lang war, und vor allem das Gesetz zur Freiheit der Kunst hier dem Hausrecht überwiege, sprach die Richterin ihr Urteil.

Interessanterweise tat sie dies bereits nach circa 20 Sekunden, wobei die Staatsanwaltschaft und mein Anwalt Robin Sircar zuvor rund 30 Minuten lang gesprochen hatten: Sie sah mich in beiden Anklagepunkten schuldig. Zudem stellte sie in Frage, dass es sich bei dem Video um Kunst handele. Dazu erhöhte sie die geforderte Strafe um 20 Tagessätze, mußte allerdings die Summe wieder herabsetzen, da ich mittlerweile für einen gemeinnützigen Kulturverein tätig bin weniger verdiene als zuvor.

Sie schien mir gegenüber von Beginn an missgünstig zu sein, da es ihr offensichtlich nicht gefallen hatte, dass ich mit Postkarten und einer Facebook-Veranstaltung zu dem Besuch der öffentlichen Verhandlung, sowie zu dem Screening des Videos vor Gericht eingeladen hatte. Skurriler Weise stellt das Video das einzige Beweisstück in diesem Fall dar. Die drei Besucher, welche bei dem Dreh in der Kirche anwesend waren, hatte die Aufnahme nicht gestört und sie haben sich auch bis heute nicht gemeldet.

Das Einzige, was mir die Richterin zu Gute hielt, war, dass ich gestanden hatte, die Person zu sein, welche auf dem Video zu sehen ist.

US: Akzeptierst du das Urteil?

AK: Wir akzeptieren das Urteil nicht und werden uns an die nächste Instanz wenden. Bei der Arbeit „Pressure to perform“ handelt es sich um ein leises, kleines, minimalistisches Kunstwerk, welche die beiden seit mehr als 20 Jahren etablierten Formen Videokunst und Performance miteinander verknüpft und durch die Wahl des Ortes zu einem Stück Konzeptkunst transformiert. Bei der Aufnahme ging ich sehr behutsam vor, entfernte zuvor ein Tuch auf dem Altar, bewegte mich langsam, ruhig und respektvoll. Sprich: alles andere als grob beschimpfend. Im Grunde habe ich ein abstraktes Bild geschaffen, indem ich zwei verschiedene Symbole, das eines barocken Altars mit all seinem Klunker und Schmuck und das der einfachen Körperübung der Liegestütze, verbunden habe. Da Video nun mal das Verbreitungsmedium der heutigen Zeit ist und ich es wichtig finde, ohne den Einsatz von viel Material zu arbeiten, habe ich nun mal nicht gemalt oder eine Skulptur im klassischen Sinne geschaffen, sondern ein Video.

16426754_1377616818975745_1975651698_nGerichtsszene gezeichnet von Bogdan Obradovic

US: Hat die katholische Kirche nach dem Urteil dir gegenüber eine Reaktion gezeigt?

AK: Die katholische Kirche als solches gibt es ja zum Glück nicht, das heißt einzelne Personen schon, allerdings hatte der Papst wohl noch keine Zeit mich anzurufen. Ich hatte mehrere längere Treffen mit spannenden Dialogen mit einem jungen Priester Namens Christian Heinz. Dieser war zwar zunächst ebenfalls geschockt, doch letztlich auch froh über seine eigene Empörung, die ihn wieder bewußt machte, was genau den Altar für ihn heilig mache. Er merkte, dass nicht nur er sondern auch viele treue Kirchgänger dies aus den Augen verloren haben. Daraufhin bot er mir an, das Video als Teil einer seiner Predigten in der von ihm geleiteten Kirche in Saarbrücken zu zeigen und lud mich ein, für 14 Tage eine Installation in der Kirche aufzubauen. Leider hat er sein Angebot, solange kein endgültiges Urteil gefällt ist, wieder zurückgenommen, da er fürchtet, seine Gemeinde und er könnten zum Spielball der Medien werden. Das ist natürlich sehr schade, da mir nicht daran gelegen ist, nur zu provozieren, sondern daran, zum Nachdenken und zum Diskurs anzuregen.

Ich persönlich glaube an Gott, aber nicht an die Kirche. Gott ist eher ein Symbol, was alle Menschen, Lebewesen und die Natur verbindet. Religion ist in Ordnung, solange man keinen Schaden damit verursacht und niemand seinen Glauben aufdrängt, was aber momentan leider zu unser aller Leid erneut wieder massiv passiert.

US: Das Video Deiner Performance ist bei Youtube mittlerweile rund 25.000 mal aufgerufen worden und vielfach diskutiert worden. Hat die Performance damit ihre eigentliche Aufgabe nicht voll und ganz bewirkt?

AK: Das Video, ein Still aus dem Video, sowie und vor allem die Idee des Videos (Mann macht Video, wie er Liegestütze auf dem Altar einer barocken Kirche macht) haben sich unglaublich verbreitet. Der Artikel zur Verhandlung samt Bildmaterial hat es bis in den Iran, nach Venezuela und Russland geschafft; die Kommentare in Foren gehen in die zig tausende. Dies ist zum einen wunderbar, fühlt sich aber auch erstmal seltsam und befremdlich an, plötzlich auch überregional Teil der Medienmaschine zu sein. Aber klar, ein Interview auf Sueddeutsche.de, eine Glosse zu der Sache auf dem Titelblatt, sowie Meldungen auf den Startseiten der beiden wichtigsten deutschen Kunstmagazinen gleichzeitig, stellt als national noch recht unbekannter Künstler, welcher am Rande der Republik lebt, eine wichtige Öffnung dar. Ich sehe die Aufgabe von Kunst als vielfältig an, insofern ist mit Sicherheit ein Teil bereits davon erfüllt. Aber es wird spannend sein zu beobachten, welchen Weg das Video „Pressure to perform“ noch gehen wird und an welchen Orten oder Kunsthallen es in Zukunft läuft.

Nun arbeite ich daran alle Beiträge im Netz zu sammeln und die Facebook Kommentare samt Profilfotos der Kommentatoren als Screenshot zu speichern. Diese scheinbar unendliche Flut von Meinungen und Äußerungen zu erfassen und außerhalb des Netzes darzustellen, wird eine schwierige, anstrengende aber auch spannende und klärende Arbeit für mich in naher Zukunft sein.

US: Den Kommentaren nach zu urteilen hat das Video besonders in Russland für Diskussion gesorgt. Pussy Riot haben 2012 mit einem  Auftritt in einer Kirche für Aufsehen gesorgt, die letztendlich zur Inhaftierung von drei Mitgliedern der Band führte. Siehst du Parallelen zu deiner Performance?

AK: Ja, erstaunlicherweise kommen viele Kommentare aus Russland, wo es auch einen großen Artikel zu dem Video und den Reaktionen gab. Vor Gericht wurden natürlich auch Pussy Riot, welche ich sehr für ihre Arbeit schätze, von uns erwähnt. Damals riefen fast alle, unter anderem auch konservative Politiker, empört auf, wie es denn möglich sei, eine Kunstaktion als Straftat zu verurteilen. Ich sehe mich allerdings als bildender Künstler, welcher mit verschiedenen Kunstformen wie der klassischen Malerei, Skulptur etc. arbeitet und eben nicht als Protestkünstler. Insofern fühle ich mich in der Kunst eher mit Michelangelo, Goya oder Malewitsch verbunden. Im privaten Leben, wenn sich das überhaupt trennen lässt von der Kunst, fühle ich mich aber natürlich zu allen Menschen verbunden, die friedlich für ihre Freiheit und ihr Recht sich frei ausdrücken zu dürfen, kämpfen.

US: Wirst du jemals wieder eine Kirche für eine Kunstaktion in Betracht ziehen?

AK: Eine Kirche ist und bleibt ein abstrakter Raum, insbesondere eine klerikale wie die katholische Kirche. Genau wie Religion eine abstrakte Form besitzt, ist es auch mit der Kunst. Insofern sehe ich keine Schwierigkeiten es zu verbinden; aber ja, ein Kunstverein, eine Galerie oder ein Museum wäre mir als nächstes lieber.

US: Vielen Dank für das Interview!

Titelfoto: Holger Bousonville

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