Russian Pain in Berlin: Katya Elizarova Quelish

11. April 2018
4 mins read
Wir können nirgendwo hin gehen” prallen die Worte in der letzten Arbeit von Katya Elizarova (a.k.a. Quelish). “Ich bin enttäuscht von der Welt, wie ich sie kannte” und “Die Träume waren anders” sind weitere kyrillische Botschaften, die gut lesbar und doch unlesbar für alle sind.

Russian Pain”, so nenne ich diese Entwicklung, die ich in der alternativen Szene und der Subkultur Russlands seit ein paar Jahren beobachte. Den “russischen Schmerz” neigen wir schnell zu verurteilen, als übertrieben, zu dick aufgetragen, ja sogar pathetisch. Gleichzeitig akzeptieren wir andere Formen des künstlerischen Ausdrucks von Schmerz, wie zum Beispiel den portugiesischen Fado („saudade“ = „Traurigkeit“, „Wehmut“, „Sehnsucht“, „Fernweh“), widerspruchslos. Warum ist das so?


Fotos: Antoine Te

„Ich esse lieber russische Scheisse, als amerikanischen Kuchen”, fallen mir die Worte vom Anfang eines revolutionären Filmes ein, in dem der Held für seine Überzeugung in den Kerker geworfen wird. Amerikanische Scheisse, russische Kuchen und umgekehrt scheinen sich in den letzten Wochen und Monaten nicht mehr so klar auseinanderhalten zu können, wie das einst die Propaganda des 20ten Jahrhunderts suggeriert hat. Eins ist jedoch unverändert geblieben: die Emigration der russischen Künstler und die russische Kultur im Exil (émigré art), die sich wieder (oder weiterhin) auf Berlin und Paris konzentriert und die alternative Kunstentwicklung in der Heimat maßgeblich beeinflusst.

Foto: Quelish

So ist in den letzten Jahren besonders in Moskau eine Jugendkultur im Untergrund entstanden, die vor allem mit HipHop und Graffiti Wege findet den Zeitgeist auszudrucken. Während die Musiker meist in Russland bleiben (die russische Sprache wird einer der Hauptbeweggründe hierfür sein), verlassen viele andere Künstler die Heimat und finden im Exil zwar die künstlerische Freiheit aber gleichzeitig auch die Katharsis der Emigration, die sie oft durchmachen müssen.


Foto: Quelish

Katya Elizarova ist ein Graffiti-Pionier der zweiten Generation in Moskau. Sie hat sich in der Metropole Moskaus eher durch eine Art natürliches Wachstum in die Stadt eingesprayt als durch muralistische Mainstreamprojekte. Ihre naive Kunst ist mutig, spricht direkt mit dem Betrachter und lässt jeglichen Schwachsinn außen vor. Hinter dieser lauten Kunst verbirgt sich eine überraschend ruhige Künstlerin, die heute in Berlin lebt und arbeitet.


Foto: Quelish

Russian Pain ist nicht nur ein Gefühl von Verzweiflung und Nostalgie. Es geht darüber hinaus. Es geht darum etwas zu finden, das du nie wirklich hattest. Und dieses Gefühl wird stärker in dem Moment wenn man geht. Und die Gründe zu gehen? Nun, jeder hat seine Gründe…

Zuerst war ich einfach nur gelangweilt von Moskau. Ich habe dort dreißig Jahre lang gelebt und es waren nur noch wenige Sachen übrig, die ich noch entdecken konnte. Zu Beginn des Millenniums waren wir alle noch sehr motiviert. Wir waren gespannt auf die Zukunft und es geschahen neue Dinge, neue Orte sind entstanden. Aber in letzter Zeit, in den letzten drei Jahren, hat man angefangen diese wieder zu schließen. Die Zensur ist allgegenwärtig und der Druck des Staates begann wirklich hardcore zu sein. Damit ist die Atmosphäre zu einer Depression umgekippt. Russian Pain, so wie du ihn bezeichnest, wurde im Land selbst immer stärker spürbar und im Ausland immer mehr präsent, durch die vielen Künstler die ins Exil gingen.“


Foto: Quelish

Dass russische Künstler auswandern, ist nichts Neues. In der Sowjetzeit beginnt die Geschichte der Emigration von Kunst und Künstlern mit der Geschichte des sowjetischen Staates selbst.
Mit der modernen Leichtigkeit des Reisens, die während der Sowjetzeit undenkbar war, kam die heutige Form der Emigration in neuen verschiedenen Schattierungen und Abstufungen. Sie ist nicht mehr der Rubikon, wie sie es zu Sowjetzeiten war. Nichtsdestotrotz scheinen Orte wie Berlin, Paris und New York, so wie in den 20er Jahren, heute wieder zentrale Bezugspunkte für die unabhängige russische Kulturszene zu werden.

Ich fühle mich sehr kosmopolitisch. Ich möchte nicht wirklich zu einem bestimmten Land oder einer bestimmten Nation gehören. In unserer Zeit sind wir alle Bürger der Welt. Aber natürlich muss man sich mit seinem Background beschäftigen. Das ist auch für andere interessant. Welche zusätzlichen Informationen bringt man mit seinem Hintergrund mit ein?

Ich selbst fühle mich irgendwie überall zu Hause. Aber Berlin ist definitiv ein guter Ort. Gute Menschen, ein guter Vibe und Freiheit. Und es ist immer noch irgendwie günstig hier. Aber ich mag auch Griechenland. Vor allem in der griechischen Mythologie. Odysseus ist auch so ein Typ, bei dem sich alles eher um Suche und die Sehnsucht dreht und weniger um Itaka.“



Fotos: Quelish

Während ich mich mit Katya unterhalte sitzen wir in Berlin Schöneberg, der Gegend Berlins in der die wilden 20er ihren Anfang aber leider auch ihr Ende nahmen. Die Parallelen sind beunruhigend, ich schüttele sie weg und denke an die Farbigkeit von Katyas Werken.


Artwork: Quelish

„Ich weiß nicht, wie ich zu dieser farbenfrohen naiven Kunst gekommen bin. Aber ich mochte nie die „technisch anspruchsvolle“ Kunst, die wegen den Skills des Künstlers bewundert wird. Wenn die Technik und nicht der Ausdruck der Gegenstand der Bewunderung wird, dann ist es eine Art von Kunst, an der ich kein Interesse habe. Es ist nicht leicht, sich mit dem Publikum zu verbinden, wenn man ein naiver Künstler ist. Meine visuelle Ästhetik befriedigt sich auf eine andere Art und kann nicht von dem Wunsch getrennt werden, in die Expression einzutauchen. Technikzwänge bleiben eben „Zwänge“ und die Befreiung von Ihnen bringt die Freiheit, wo das Ganze anfängt richtig Spass zu machen.“

Foto: Antoine Te

Katya zieht an ihrer Zigarette und ich denke an ihre „von der Technik befreiten“ Werke. An Ihnen steht:

Мы верим в силу любви, которая никогда не кончится“ – Wir glauben an die Macht der liebe, die niemals endet.

Мы растём, Как два цветка, В руках друг друга“ – Wir wachsen wie zwei kleine Blumen, in der Hand des jeweils anderen.

Нам совсем некуда пойти“ – Wir können nirgendwo hin.

Я в печали от мира, Который знаю“ – Ich bin von der Welt, die ich kenne, enttäuscht

Это жалкое шоу“ – Dies ist eine miserable Show

Нестабильно и безумно“ – Labil und wahnsinnig

Мечты были о другом“ – die Träume waren anders

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