“Wir können nirgendwo hin gehen” prallen die Worte in der letzten Arbeit von Katya Elizarova (a.k.a. Quelish). “Ich bin enttäuscht von der Welt, wie ich sie kannte” und “Die Träume waren anders” sind weitere kyrillische Botschaften, die gut lesbar und doch unlesbar für alle sind.
“Russian Pain”, so nenne ich diese Entwicklung, die ich in der alternativen Szene und der Subkultur Russlands seit ein paar Jahren beobachte. Den “russischen Schmerz” neigen wir schnell zu verurteilen, als übertrieben, zu dick aufgetragen, ja sogar pathetisch. Gleichzeitig akzeptieren wir andere Formen des künstlerischen Ausdrucks von Schmerz, wie zum Beispiel den portugiesischen Fado („saudade“ = „Traurigkeit“, „Wehmut“, „Sehnsucht“, „Fernweh“), widerspruchslos. Warum ist das so?


So ist in den letzten Jahren besonders in Moskau eine Jugendkultur im Untergrund entstanden, die vor allem mit HipHop und Graffiti Wege findet den Zeitgeist auszudrucken. Während die Musiker meist in Russland bleiben (die russische Sprache wird einer der Hauptbeweggründe hierfür sein), verlassen viele andere Künstler die Heimat und finden im Exil zwar die künstlerische Freiheit aber gleichzeitig auch die Katharsis der Emigration, die sie oft durchmachen müssen.

Katya Elizarova ist ein Graffiti-Pionier der zweiten Generation in Moskau. Sie hat sich in der Metropole Moskaus eher durch eine Art natürliches Wachstum in die Stadt eingesprayt als durch muralistische Mainstreamprojekte. Ihre naive Kunst ist mutig, spricht direkt mit dem Betrachter und lässt jeglichen Schwachsinn außen vor. Hinter dieser lauten Kunst verbirgt sich eine überraschend ruhige Künstlerin, die heute in Berlin lebt und arbeitet.

Zuerst war ich einfach nur gelangweilt von Moskau. Ich habe dort dreißig Jahre lang gelebt und es waren nur noch wenige Sachen übrig, die ich noch entdecken konnte. Zu Beginn des Millenniums waren wir alle noch sehr motiviert. Wir waren gespannt auf die Zukunft und es geschahen neue Dinge, neue Orte sind entstanden. Aber in letzter Zeit, in den letzten drei Jahren, hat man angefangen diese wieder zu schließen. Die Zensur ist allgegenwärtig und der Druck des Staates begann wirklich hardcore zu sein. Damit ist die Atmosphäre zu einer Depression umgekippt. Russian Pain, so wie du ihn bezeichnest, wurde im Land selbst immer stärker spürbar und im Ausland immer mehr präsent, durch die vielen Künstler die ins Exil gingen.“

Ich selbst fühle mich irgendwie überall zu Hause. Aber Berlin ist definitiv ein guter Ort. Gute Menschen, ein guter Vibe und Freiheit. Und es ist immer noch irgendwie günstig hier. Aber ich mag auch Griechenland. Vor allem in der griechischen Mythologie. Odysseus ist auch so ein Typ, bei dem sich alles eher um Suche und die Sehnsucht dreht und weniger um Itaka.“


Während ich mich mit Katya unterhalte sitzen wir in Berlin Schöneberg, der Gegend Berlins in der die wilden 20er ihren Anfang aber leider auch ihr Ende nahmen. Die Parallelen sind beunruhigend, ich schüttele sie weg und denke an die Farbigkeit von Katyas Werken.

"Ich weiß nicht, wie ich zu dieser farbenfrohen naiven Kunst gekommen bin. Aber ich mochte nie die "technisch anspruchsvolle“ Kunst, die wegen den Skills des Künstlers bewundert wird. Wenn die Technik und nicht der Ausdruck der Gegenstand der Bewunderung wird, dann ist es eine Art von Kunst, an der ich kein Interesse habe. Es ist nicht leicht, sich mit dem Publikum zu verbinden, wenn man ein naiver Künstler ist. Meine visuelle Ästhetik befriedigt sich auf eine andere Art und kann nicht von dem Wunsch getrennt werden, in die Expression einzutauchen. Technikzwänge bleiben eben „Zwänge“ und die Befreiung von Ihnen bringt die Freiheit, wo das Ganze anfängt richtig Spass zu machen."
Foto: Antoine Te
Katya zieht an ihrer Zigarette und ich denke an ihre „von der Technik befreiten“ Werke. An Ihnen steht:
„Мы верим в силу любви, которая никогда не кончится“ – Wir glauben an die Macht der liebe, die niemals endet.
„Мы растём, Как два цветка, В руках друг друга“ – Wir wachsen wie zwei kleine Blumen, in der Hand des jeweils anderen.
„Нам совсем некуда пойти“ – Wir können nirgendwo hin.
„Я в печали от мира, Который знаю“ – Ich bin von der Welt, die ich kenne, enttäuscht
„Это жалкое шоу“ – Dies ist eine miserable Show
„Нестабильно и безумно“ – Labil und wahnsinnig
„Мечты были о другом“ – die Träume waren anders