Portrait und Interview ››Nove‹‹, São Paulo

17. November 2010
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8 mins read

Letztes Jahr habe ich den Graffiti und StreetArt Künstler Nove in São Paulo kennengelernt. Seit dem verfolge ich die Arbeiten und bin sehr angetan von seiner Arbeit und dem außergewöhnlichen Stil!

Anfang des Jahres haben wir mit dem spacedepartment ein Interview mit Nove im Magazin urban spacemag #2 veröffentlicht. Nun gibt es das Interview das erste mal auch online. Nove erzählt über seine Arbeit sowie das besondere Verhältnis von StreetArt und Graffiti zur brasilianischen Metropole São Paulo. Es lohnt sich definitiv zu lesen! Mehr Bilder von Nove gibt es hier, mehr über den Künstler hier.

INTERVIEW

››Ich glaube, dass die Stadt ohne meine eingriffe die gleiche wäre, ihr würden lediglich meine Sprache, meine Interpretation des Lebens und die Welt, welche ich persönlich auf die Straße trage, fehlen.‹‹

Graffitti und du, wie habt ihr zueinander gefunden? Glaubst du, dass deine Liebe zur Street-Art etwas mit der Stadt São Paulo zu tun hat?

Das war etwa so vor zehn Jahren, zu diesem Zeitpunkt war ich schon seit einiger Zeit auf Skates unterwegs und in meinen „Sessions“ durch die Stadt São Paulo begann ich die Bilder, Formen und Farben, die in das Stadtbild hineinspielten, bewusst wahrzunehmen. Ich hatte keine Zweifel, es war Liebe auf den ersten Blick. Ich beschloss dann Tinte zu kaufen um mit Herz und Verstand auf die Straße zu gehen, um all den Gefühlen Ausdruck zu verleihen, die in mir gefangen waren. Alles was ich sah, hörte und atmete, hat mich in dieser Zeit beeinflusst; die Menschen, das Chaos der Metropole, die Ästhetik der Stadt und vor allem die sozialen Gegensätze.Auf der Straße zu zeichnen ist etwas sehr Besonderes für mich, denn es ist die Schnittstelle um der Außenwelt meine Gefühle mitzuteilen und die Stadt São Paulo ist dabei eine der größten Unterstützungen für mich. Ich habe die Freiheit mit der Stadt zu interagieren und einen Dialog zu führen: zwischen dem Raum, dem Schaffenden, dem Geschaffenen und dem Beobachter.

Auf welche Art und Weise spürst du, dass deine Bilder mit der Geschichte oder der Kultur São Paulos zusammenhängen? Inwiefern sind deine Bilder und du ein Teil dieser Stadt?

Alles, was man auf der Straße findet, steht in direkter oder indirekter Verbindung zur Stadt und seinen Einwohnern. Schließlich ist die Straße frei, sie gehört allen und das Graffiti hat seit den 1980er Jahren eine große Präsenz in der Kultur und Geschichte São Paulos einge- nommen. Derzeit haben meine Arbeiten ein sehr enges Verhältnis zur Stadt, denn die Interaktion entsteht im Raum mit meiner Kunst. Sie sind Teil der Stadt, Teil der Geschichte, des Alltäglichen, aller Beobachter. Mit dem Augenblick, in dem ich auf der Straße sprühe, hört meine Arbeit auf lediglich eine persönliche Bedeutung zu haben, sie wird öffentlich und bekommt eine gemeinschaftliche Interpretation anhand derer, die sie sehen.

Ich glaube, dass die Stadt ohne meine Eingriffe die gleiche wäre, ihr würde lediglich meine Sprache, meine Interpretation des Lebens und die Welt, welche ich persönlich auf die Straße trage, fehlen.

Wonach wählst du den Ort für ein Bild aus?

Die Ortswahl ist eines der wichtigsten Elemen- te für Graffitis, abgesehen von dem Motiv an sich, und sie hängt von mehreren Faktoren ab. Alles beginnt mit der Suche nach der perfekten Umgebung für den Moment und die Energie, welche ich an dem Tag spüre. Die fotografische Fülle ist einer der Schlüssel für die Wahl des Platzes, welcher besprüht werden soll. Ich entscheide mich für Plätze, die bereits reichhaltig sind in ihrer Struktur und visuellen Komposition, immer bemüht, das Konzept des digital Organischen anzuwenden.

Nimmt der Ort Einfluss auf deine Ideen? Stellt er eine In- spiration für ein bestimmtes Bild dar?

Normalerweise fertige ich eine Skizze an, bevor ich auf die Straße gehe, um die Energien, die ich an dem Tag spüre, zu übertragen. Wenn ich den richtigen Platz finde, spüre ich eine Menge Einflüsse dieses spezifischen Moments, sowohl durch die Umgebung als auch durch die Bewohner. Durch diese Einflüsse werden Änderun- gen an den Skizzen notwendig.

Was denkst du über die Vergänglichkeit von Street-Art Arbeiten? Man weiß ja schließlich nie, wann sie entfernt oder durch eine andere Arbeit verdeckt wird? Stellt dieser Aspekt eine positive Herausforderung für dich dar oder empfindest du dies als einen schmerzlichen Teil der Street Art?

Die Vergänglichkeit liegt nicht an dem fehlenden Respekt zwischen den Künstlern, wie es in vielen Hauptstädten der Welt der Fall ist, sondern an einem Zu- sammenspiel mehrer Faktoren, die mit der Stadt an sich zu tun haben. Dies sind Einflüsse wie Veränderungen durch Wetter, die falsche Werbung (durch Printmedien und politische Kampagnen) sowie das Gesetz „saubere Stadt“ – ein Programm der Stadtverwaltung São Paulos zur Bekämpfung ihrer visuellen Verschmutzung. Das Gesetz betrifft auch das Graffiti, da ein Fokus darauf liegt, vorübergehend das zu überdecken, was als legal bezeichnet wird. Durch die stetige Erneuerung der besprühten Plätze, haben alle Künstler genügend Platz um ihre Kunst auszudrücken und haben keinen Grund fremde Arbeiten nicht zu respektieren.

Wenn einmal meine Arbeit zerstört wird, verspüre ich noch mehr Lust durch die Stadt zu ziehen um noch mehr zu interagieren, immer mehr zu sprühen. Die Vergänglichkeit ist ein großer Stimulus. Durch sie wird das Sprühen auf der Straße zur Interaktion mit Allem und Allen.

Denkst du, dass in São Paulo Geschichten über Street- Art existieren, die es nur hier gibt und die sich so von anderen Städten unterscheiden?

Ja, ich denke, dass das Graffiti in São Paulo Charakteristika aufweist, die es von Graffitis in ande- ren Städten der Welt unterscheidet. Hierbei meine ich nicht nur Unterschiede in der Ästhetik, sondern Unter- schiede, die durch die Geschichte und die Kultur des Landes entstanden sind. Brasilien weist eine starke Mestizisierung der Bevölkerung auf, dies führt zu einer Beeinflussung und zum Austausch durch unterschied- liche regionale Kulturen unseres eigenen Landes und zusätzlich noch durch andere Kulturen dieser Erde. Wir haben unsere eigene Art und Weise unser Graffiti zu sehen, es zu leben, zu entwerfen und darüber zu urtei- len. Die Verwendung unterschiedlicher Techniken und Materialien, wie z.B. die Verwendung von Latextinte in einem Großteil der Arbeiten, welche sich nicht direkt mit dem normalen Spray verbindet, das ist ein großen Unterschiede dazu, wie in anderen großen Städten der Welt gearbeitet wird.

Ein Freund von euch hat über eine Situation mit der Polizei gesprochen, bei welcher diese sagte: „Den werde ich nicht festnehmen, mir gefallen seine Bilder. Keep on.“ Ist dir schon einmal etwas ähnliches passiert? Glaubst du, dass diese Reaktion typisch für São Paulo ist?

Das Graffiti hat sich in alle Ecken der Stadt aus- gebreitet, hin zu Künstlern der unterschiedlichsten Richtungen, es ist wahnsinnig bekannt geworden und wird fast von der gesamten Gesellschaft akzeptiert, völlig unabhängig von sozialer Schicht, Glaubensbekenntnis oder Hautfarbe. Diese Sozialisierung, die das Graffiti in São Paulo erfuhr und weiterhin erfährt, ist nichts anderes als die Akzeptanz für die größte freie künstlerische Bewegung des 20. Jahrhunderts. Es ist unmöglich abzustreiten, dass das Graffiti nicht längst seinen ganz festen Platz in der Stadt hat.

Es ist mir schon oft passiert, dass die Polizei kam, während ich illegal sprühte und lediglich sagte: „Ah, du machst ein Graffiti. Dann ist ja gut. Mach nur weiter. Aber beschmier nicht die Wände.“ Für die Gesellschaft steht das Beschmieren der Wände mit Parolen in engem Verhältnis zu Vandalismus und Illegalität. Deshalb wird Street-Art immer mehr geschätzt und von allen unterstützt.

Würdest du sagen, dass in São Paulo eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber Street Art existiert? Hat sich die gesellschaftliche Haltung möglicherweise geändert seit du sprühst?

Wir Künstler, die wir die Straße nutzen um un- sere Arbeiten zu machen, erhalten erst in letzter Zeit eine größere Akzeptanz und unsere Arbeit wird von der Gesellschaft mehr geschätzt. Dies entstand durch das Bekanntwerden der Street-Art und durch die Sozialisierung der Kunst, welche in den letzten Jahren entstand, aber auch dadurch, wie die Künstler ihren eigenen Ar- beiten gegenüberstehen. Unterschiedliche Medien und Segmente nutzen unsere Sprache als Ausdrucks- und Kommunikationsform. Dies stärkt die Einführung, die Akzeptanz und die positive Bewertung unserer Sprache. Vor wenigen Jahren galt das Sprühen in der Straße als Delikt, welches Geldbußen und andere Strafen forderte. Aber im Verlauf der Jahre hat die Stadtverwaltung von São Paulo begriffen, dass Street-Art eine künstleri- sche Bewegung von großer Präsenz in der Stadt ist, die es zu unterstützen gilt. Die Entstehung von Projekten in Zusammenarbeit mit staatlichen und privaten Organen mit dem Fokus der Revitalisierung und Aufwertung öf- fentlicher Plätze durch künstlerische Interventionen hat gezeigt, wie stark wir sind und wie groß unsere Präsenz in der Stadt ist.

Denkst du, dass in unterschiedlichen Teilen der Stadt unterschiedlich damit umgegangen wird? Es Teile gibt, in denen den Menschen gefällt was ihr macht und andere, in welchen sie die Polizei rufen?

Unabhängig vom Teil der Stadt haben wir stets Bewunderer aber auch Kritiker, das ist immer so, schließlich heißt das Malen auf der Straße offen zu sein für un- terschiedliche Meinungen, sowohl für Bewunderung als auch für polizeiliche Ermittlungen. Abhängig von der Gegend in der Stadt wo ich male, treffe ich auf unterschiedliche Reaktionen von unterschiedlichen Personengruppen. Wenn ich in den Ärmeren Regionen der Stadt sprühe, loben die Menschen mehr und sehen das Graffiti eher von einem pädagogisch-erzieherischen Blickwinkel, jedoch ist das Verhalten der Polizei hier unterdrückender. Hingegen ist in reicheren Gegenden das Graffiti mehr als pure Kunst angesehen, hier gibt es mehr Information und der polizeiliche Umgang ist milder. Die Stadt ist in soziale Klassen unterteilt, diese richten sich nach der Region der Stadt, der Kaufkraft oder dem Zugang zu Informationen, welche sich drastisch unterscheiden. Ohne Frage ist der soziale, ökonomische oder kulturelle Kontrast sehr stark je nachdem wo man sich innerhalb der Stadt befindet.

Wen würdest du als Sympathisant und wen als wahren Feind von dir als Street Art Künstler bezeichnen?

Sympathisanten sind all die Personen, sowie staatliche- und private Organe, die unsere kulturelle Bewegung auf ehrliche Weise würdigen, akzeptieren und unterstützen. Die wahren Feinde sind die, die unsere Sprache erforschen und dann für ihre Zwecke benutzen, und so unsere Arbeit abwerten und entwürdigen.

Noch eine abschließende Frage: Welche Rolle spielt Geld für das Material (Dosen, Hefte, Stifte…) zur Ausführung deiner Arbeit? Gibt es noch andere Restriktionen welchen sich ein Street Artist gegenüber sehen könnte? Ist es möglich, dass diese Hindernisse deine Arbeit verbessern oder sind sie lediglich als Nachteil zu sehen?

Unser Material ist sehr wichtig, um unserer Kreativität freien Lauf lassen zu können und Geld hilft sehr, dies sicher zu stellen. Ich glaube, für die Mehrheit der Künstler ist das Fehlen von Material (Förderung) das größte Problem um alle unsere kreativen Ideen auf die Art und Weise in die Tat umzusetzen, wie wir gerne würden. Allerdings sind es genau die Zeiten, wenn uns Mittel fehlen, in denen wir es schaffen, zu improvisieren und neue Wege zu gehen, um unsere Ideen angemessen umzusetzen. Schaffen heißt frei zu sein.

(Das Interview ist erschienen im urban spacemag #2 Gaffa Urbanismus. Das Interview führte Anja Nettig vom spacedepartment.)

———
Mit bestem Dank und Gruß nach São Paulo. Keep on working Nove!
Bilder: Nove

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