Mathieu Tremblin und Vladimir Turner auf Urban Hacking Expedition in Düsseldorf

2. August 2016
4 mins read
Die beiden Künstler Mathieu Tremblin und Vladimir Turner haben sich auf die Suche nach den „Grauzonen“ im Düsseldorfer Stadtraum gemacht. Mit verschiedenen künstlerischen Interventionen beleuchten sie die wichtige Frage „Wem gehört der öffentliche Raum?“

Joanna Szlauderbach hat die beiden Künstler bei ihrer Urban Hacking Expedition im Rahmen der laufenden Ausstellung „Planet B – 100 Ideen für eine neue Welt begleitet und die Interventionen im Düsseldorfer Stadtraum zusammen mit ihren Gedanken dokumentiert:

Vom 21. Juni bis 07. Juli lebten die beiden Künstler und Aktivisten Vladimir Turner und Mathieu Tremblin in der eingericheten Forschungsrakete in der Planet B-Ausstellung im NRW-Forum Düsseldorf. Im Rahmen ihrer Research Residency erforschten sie die Strukturen des Düsseldorfer Stadtraums und boten Alternativen und Erweiterungen an. Dabei griffen ihre Projekte auf unterschiedliche Weise in den Stadtraum ein. Zum einen kommentierten sie allgemeine gesellschaftliche Zustände, zum anderen reagierten sie direkt auf den lokalen Kontext und auf einer wiederum anderen Ebene kreierten sie mittels neuer Tools für eine optimierte Stadtnutzung ihre ganz eigenen Utopien.

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VLADIMIR TURNER „DUSS€LDORF“ 2016

Die einerseits spontanen und andererseits im Vorfeld konzipierten Interventionen hatten im Fokus die Auslotung der vermeintlichen „Grauzone“ in Düsseldorf – der Ebene des öffentlichen Raums, die von allen frei und beliebig bespielt werden kann, sei es künstlerisch oder als Kommunikationsmittel für wichtige Anliegen, Wünsche oder auch Kritik; eine Art Toleranz- bzw. Akzeptanzzone, die kontinuierlich umgestaltet werden kann und allen gehört.

2016_ERROR#3_DOCUMENTATION_DUSSELDORF_VLADIMIRTURNER_05 2016_ERROR#3_DOCUMENTATION_DUSSELDORF_VLADIMIRTURNER_02VLADIMIR TURNER „ERROR“ 2016 (Foto:VLADIMIR TURNER)

Im Zuge der Explorationen mussten sie jedoch leider feststellen, dass der Düsseldorfer Stadtraum, insbesondere das Zentrum, überaus reglementiert und kontrolliert ist. Zahlreiche Begegnungen mit diversen Ordnungshütern haben recht deutlich gezeigt, dass ohne vorherige Genehmigung im Grunde nichts im öffentlichen Raum verändert werden kann. Jeder Eingriff wird grundsätzlich erstmal negativ wahrgenommen, als Störung, und zieht entsprechende Konsequenzen nach sich; unabhängig von der Art des Eingriffs oder der künstlerischen bzw. gesellschaftlichen Relevanz. Grundsätzlich scheint es vielen Einwohnern Düsseldorfs lieber zu sein die Behörden über die Gestaltung des öffentlichen Raums entscheiden zu lassen statt selbst die Verantwortung zu übernehmen.

Keine Grauzone in Düsseldorf?

Der Vergleich auf internationaler Ebene ist interessant. So ist der lokale Arbeitskontext von Vladimir Turner in Prag ein gänzlich anderer. Aus seiner Erfahrung erzählt er von der großen Gestaltungsfreiheit, die Prager-Bürger im öffentlichen Raum genießen. Auch größeren Interventionen schenken die städtischen Servicemitarbeiter keine größere Beachtung. Warum? Desinteresse oder Zugeständnis des Freiraums? Fakt ist, dass Turner so vielen Restriktionen, wie in Düsseldorf, schon seit längerer Zeit nicht begegnet ist. Sein Transparent mit einer Variation des Ausspruchs des Situationisten Guy Debord „ARBEITET NIEMALS“ bzw. „NICHT MEHR ARBEITEN“ konnte genau 5 Minuten stehen bleiben.

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VLADIMIR TURNER „NICHT MEHR ARBEITEN“ 2016

In Straßburg, dem Hauptwohnsitz von Mathieu Tremblin, ist das Regelwerk etwas enger gestrickt als in Prag. Allerdings gibt es ein anderes Bewusstsein der Bürger für den öffentlichen Raum, den sie durchaus als IHREN Raum betrachten und sich mündig mit seiner Gestaltung auseinandersetzen. So werden spontane Interventionen erstmal begutachtet, bevor entschieden wird, ob die Behörden eingeschaltet werden sollen oder ob die Interventionen bleiben kann. Auf gar keinen Fall wollen die Einwohner die Entscheidung darüber, wie ihre Stadt aussehen soll, den Staatsorganen überlassen.

Diese und auch andere Arten der freien Meinungsäußerung der Bürger/Stadtbewohner spielen in Tremblins Arbeit eine wichtige Rolle. Für Düsseldorf hat er mehrere Angebote kreiert: Zum einen die „Permanent Demonstration“-Banner, die hier und dort in der Stadt verteilt sind und von allen zum Sprayen, Schreiben & Plakatieren genutzt werden können.

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MATHIEU TREMBLIN „STAND ALONE BANNER“ 2016

Ein weiteres Tool dieser Art, das Tremblin anbietet, ist im Grunde ein Gastgeschenk, das er aus Frankreich mitgebracht hat. Dabei handelt es sich um eine der öffentlichen „Expression Libre“-Tafeln, die in Frankreich von Kommunen aufgestellt werden und der freien Plakatierung dienen. Jeder Bürgen darf diese Plätze kostenfrei nutzen. Genau solch eine Tafel hat der Künstler nachgebaut und sucht nun nach einem geeigneten Ort in Düsseldorf, an dem die Tafel permanent stehenbleiben kann. Falls euch gute Orte einfallen bzw. ihr selbst die Möglichkeit habt einen Ort anzubieten, meldet euch gern unter [email protected].

Auch das Verhältnis von kommerzieller Präsenz im urbanen Raum und der Flächen, die von Bürgern genutzt werden können, wurde von Tremblin thematisiert. Mit gewitzten Eingriffen hat er es sich zur Aufgabe gemacht hier eine Balance herzustellen. Im Sinne dieser müsste zum Beispiel jeder Einwohner Düsseldorfs ein A5 Blatt gestalten und im öffentlichen Raum platzieren. Die Summe solcher individuellen Eingriffe entspräche der tatsächlich derzeit vorhandenen Werbefläche in der Stadt.

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MATHIEU TREMBLIN „CORNERS PATTERN“ 2016

Ein anderer Schritt von Tremblin im Sinne der Herstellung des Gleichgewichts, war die direkte Bearbeitung von Werbeflächen, an denen er das 50%-Maß angesetzt hat. Mit abwaschbarem Sumpfkalk legte er Flächen zur individuellen Gestaltung frei.

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MATHIEU TREMBLIN „BLANK SPOT“ 2016

Die gemeinsame Arbeit der beiden Künstler, der SMOKE SCREEN im Gasthof am Worringerplatz, zog bereits bei den Tests soviel Aufmerksamkeit auf sich, dass es für einen Großeinsatz der Feuerwehr ausgereicht hat. Dabei trügt das Bild oft und vermeintliche Gefahr stellt sich oft als harmlos heraus. Ein kurzes Gespräch, eine kurze Rückfrage reicht vollkommen aus, um eine Gewissheit zu erlangen, statt sofort die Feuerwehr zu verständigen. Dieses Verhalten ist leider exemplarisch und symptomatisch für viele Entwicklungen in unserer Gesellschaft.

2016_SMOKESCREEN_DOCUMENTATION_DUSSELDORF_MATHIEUTREMBLIN_VLADIMIRTURNER_IMG_4211 2016_SMOKESCREEN_PROCESS_DUSSELDORF_MATHIEUTREMBLIN_VLADIMIRTURNER_VIDEOSTILL_09
MATHIEU TREMBLIN & VLADIMIR TURNER „SMOKE SCREEN“ 2016

Das MERCEDES-BENZ Projekt ist als Reaktion auf die Erlebnisse während der Residenz entstanden – das omnipräsente Thema in allen Kreisen: EM 2016; die Ursache für Terminverschiebungen von Vernissagen, der Grund für Verspätungen von Materiallieferung und für den übertriebenen Gebrauch von nationalen Symbolen im öffentlichen Raum.

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MATHIEU TREMBLIN & VLADIMIR TURNER „MERCEDES BENZ“ 2016

Vielen Dank an die großartigen Unterstützer vom 40° Grad Urban Arts Festival – Klaus Klinger und Klaus Martin Becker sowie Andrea Knobloch vom Gasthof am Worringerplatz, alle drei unermüdliche Kämpfer für Freiräume in Düsseldorf! Viel Erfolg euch weiterhin!

Die Planet B-Ausstellung läuft noch bis zum 21.08.16. Informationen zum täglichen Programm gibt es hier.

Website Vladimir Turner
Website Mathieu Tremblin

FOTOS: MATHIEU TREMBLIN & VLADIMIR TURNER
(Mit freundlicher Genehmigung)

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