„Der öffentliche Raum gehört uns allen und wir tun gut daran, hin und wieder unter Beweis zu stellen, dass wir selbstermächtigt dort intervenieren, weil es uns zusteht.“
Die Gruppe Dies Irae nimmt sich mit ihren Adbustings gezielt das Thema Außenwerbung vor und stellt dessen Omnipräsenz in den Städten in Frage. Wir haben mit der Gruppe, die in mehreren Städten aktiv ist, gesprochen und ein interessantes Interview über Werbung im öffentlichen Raum, das Verhältnis von Stadt und Werbung, Adbusting und Alternativen zur Werbeflut geführt.
Wer und was verbirgt sich hinter „Dies Irae“?
Politische, künstlerische und selbstdenkende Menschen, die den öffentlichen Raum von der visuellen Umweltverschmutzung, auch Außenwerbung genannt, befreien. „Dies Irae“ (lat. Tag des Zorns) ist eine kraftvolle Sequenz in Verdis „Requiem“.
Ihr prangert die Omnipräsenz von Außenwerbung in den Städten an und schlagt Alternativen vor. Was motiviert euch aktiv zu werden?
Der öffentliche Raum sollte der Gesellschaft dienen. Kommerzielle Außenwerbung verfolgt eindeutig nicht dieses Ziel: „The goal of advertising is to sell more stuff to more people more often for more money“, sagte ein ehemaliger Coca-Cola-Manager. Wenn wir es ernst meinen mit Nachhaltigkeit, brauchen wir aber einen ressourcen- und klimaschonenden Lebensstil. Werbung steht somit Nachhaltigkeit entgegen und täglich fordern uns 3.000 Werbebotschaften auf, mehr Zeug zu kaufen, von dem wir nicht wussten, dass wir es überhaupt brauchten.
Werbung, wie wir sie heute größtenteils sehen, ist ein anti-aufklärerisches Projekt. Greenwashing Kampagnen täuschen über die wahren Probleme hinweg und gaukeln uns vor, dass alles in bester Ordnung sei: Keep shopping, everything is fine! Werbung hat es geschafft, dass wir den Konsum an sich schon für etwas Erstrebenswertes halten, ohne zu kritisch hinterfragen, was die Kehrseite unserer „materiellen Selbstverwirklichung“ ist.
Häufig wird eine stereotype, sexistische oder rassistische Bildsprache verwendet, die Menschen diskriminiert.
Es darf uns auch nicht wundern, dass die meisten Frauen unzufrieden mit ihrem Körper sind, wenn sie überall das mit Photoshop manipulierte Model sehen.
Kinder, die noch gar nicht wissen, was die Absicht von Werbung ist, sind eine interessante Zielgruppe, weil sie über immer mehr Geld verfügen und je früher sie an Marken gewöhnt werden, desto treuer bleiben sie diesen.
Während man in den Print und Online-Medien mehr oder weniger durch Überblättern oder das Nutzen eines Adblocker selbst entscheiden kann, ob man Werbung sehen möchte oder nicht, kann man Plakaten im öffentlichen Raum nicht ausweichen…
…genau das ist ja das Problem. Ich muss mich nun mal in der Stadt fortbewegen. Mein Kind von der KiTa abholen, zur Uni, Freunde besuchen. Dabei prasselt überall der Dauermonolog der Außenwerbung auf mich ein. Es gibt keine Option der Werbung zu entkommen (wie umschalten oder umblättern). Wir brauchen auch Adblocker für den öffentlichen Raum!
„AUSSENWERBUNG TRIFFT. JEDEN.“ Stimmt: Ungefragt und omnipräsent nervt sie uns! Unausweichlich und ohne aktive Zuwendung werden potentielle Konsument*innen mit Kaufaufforderungen angeregt. Und das Ganze 24 Std., da auch nachts beleuchtet wird.
Die meisten stellen Werbung im öffentlichen Raum nicht sonderlich in Frage … könnt ihr euch erklären wieso das so ist?
Kurz gesagt: Weil es einem Systembruch gleich kommt, Werbung abzulehnen.
Es wird als Normalzustand hingenommen, dass wir immer wieder neue Sachen kaufen sollen. Je mehr Wirtschaftswachstum desto besser. Mehr, mehr, mehr und schneller konsumieren(!) – weil’s gut für die Wirtschaft ist. Die neoliberalen Ökonom*innen sagen, dass mehr Wirtschaftswachstum zu einer besseren Welt führt: mehr Umverteilung wird ermöglicht, Umweltschutzmaßnahmen können so erst finanziert werden, und Arbeitsplätze werden geschaffen. Nur werden diese Versprechen in der Realität nicht eingelöst, weil die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft, der Schaden durch den Konsum größer ist, als es Umweltschutzprogramme es je sein können und Arbeitsplätze durch fortschreitende Technologisierung wegrationalisiert werden.
Zudem fehlt ein Bewusstsein dafür, dass die fortschreitende Kommerzialisierung und Privatisierung des öffentlichen Raums, Angriffe auf Freiräume in der Stadt sind.
Mit Geld kann man sich recht einfach das visuelle Gestaltungsrecht der Stadt erkaufen. Für ca. 150.000€ gibt es z.B. alle Citylight-Posterflächen der Bushaltestellen und Bahnhöfe in Berlin für eine Woche, was größeren Marken auch regelmäßig nutzen. Ohne Geld bekommt man nur sehr schwer eine ähnliche Präsenz in der Stadt. Das ist keine sonderlich demokratische Stadtgestaltung …
Wer viel Geld hat, kann viel öffentlichen Raum gestalten. Dabei kann Mensch sich schon mal wie in einer „Kampf-Arena der Konzerne“ vorkommen. Pepsi wirbt Cola, Apple gegen Samsung, H&M gegen C&A, BMW gegen VW. Ausgestattet mit großzügigen Werbe-Budgets führen sie einen Kampf gegeneinander, um steigende Absatzahlen, Bekanntheitsgrad und Image. Bei diesem Kampf betreten wir die Arena nur als passive Zuschauer, die den Unternehmen brav von ihren Sitzen zujubeln dürfen. Der öffentliche Raum gehört aber uns allen und wir tun gut daran, hin und wieder unter Beweis zu stellen, dass wir selbstermächtigt dort intervenieren, weil es uns zusteht.
In Sao Paulo wurde bereits vor etlichen Jahren großflächige Werbung im öffentlichen Raum verboten. Aktuell zieht das französische Grenoble als erste europäische Stadt nach. Kann das eine Lösung sein?
Wenn wir uns den Einfluss der Werbung auf unsere Gesellschaft bewusst machen, sind werbefreie Städte nur folgerichtig. Diese Städte zeigen das werbefreie Städte möglich sind und zugleich an Ästhetik gewinnen.
Trägt Werbung nicht auch zur Identität von Städten bei? Man denke z.B. an den Times Square in New York oder den Piccadilly Circus in London…
Das sind Orte, an denen sich Werbung ganz punktuell ballt. Die grelle und kunterbunte Reizüberflutung zieht Tourist*innen an. Die Touris suchen hier jedoch ganz gezielt den Werbe-Overkill. Es geht aber um das täglich grüßende Murmeltier an jeder Ecke, das uns anfixt neuen Elektro-Wohlstandsschrott zu kaufen oder realitätsferne Schönheitsideale reproduziert.
Die „Verunreinigung“, der Bruch des gewohnten Stadtbildes durch Street-Art, begeistert schließlich auch mehr Menschen als die langsam bröckelnde Glitzerwelt der Shopping-Malls.
Die Infrastruktur für Werbeposter und digitale Billboards ist massig vorhanden. Was ließe sich noch mit den Flächen schönes machen?
Warum gestalten die Menschen vor Ort die Flächen nicht einfach selbst? Das Sommerprogramm des Jugendzentrums, die neue Nachbarschaftsinitiative lädt in die Eckkneipe ein, die Öffnungszeiten des Schwimmbads… All das hat doch viel größere Relevanz für die Leute aus dem Kiez, als die neue Generation Smartphones oder der neue 1-Euro-Burger, der beworben wird. Wäre es zudem nicht viel abwechslungsreicher wenn Künstler*innen die Flächen bespielen dürfen? „Kunst statt Kommerz“ lautet die Devise.
Vielen Dank für das Interview.
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Titelbild: Foto gemacht von Breaka Dawn. Mit freundlicher Genehmigung
Alle weiteren Bilder © Dies Irae. Mit freundlicher Genehmigung der Künstler