Kein Wahlkampf mehr ohne Adbustings – Interview mit dem Wahlbeobachter Martin Fuchs

13. April 2016
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In den letzten Jahren hat sich eine regelrechte Remix- und Adbusting-Kultur im Vorfeld von Landtags- und Bundestagswahlen entwickelt. Warum gehen die kreativen Modifikationen von Wahlplakaten im Netz aber so durch die Decke? Und was halten die Parteien und Kandidaten davon, das ihre Plakate geremixed und gebustet werden?

Wir haben einen Mann interviewt, der seit vielen Jahren den Wahlkampf intensiv beobachtet und sich mit Wahlwerbung im Internet und Wahlplakaten im öffentlichen Raum auskennt wie kaum ein anderer. Martin Fuchs aka. der Hamburger Wahlbeobachter hat uns in einem Interview zum Thema Adbusting von Wahlplakaten Rede und Antwort gestanden.

Du beobachtest schon länger den Wahlkampf und die Wahlwerbung. Haben Adbustings von Wahlplakaten in den letzten Jahren zugenommen?

MF: Ich glaube nicht, das es unbedingt mehr AdBustings gibt. Das Hitlerbärtchen und die Brille auf dem Gesicht des Kandidaten gehören quasi zum Standardrepertoire von Wahlplakaten seit es diese gibt. Was sich allerdings in den letzten Jahren stark verändert hat ist die Qualität der Bustings und die gesellschaftliche Wahrnehmung. Sprich dank Blogs wie urbanshit ist die Kunstform in der Mitte der Gesellschaft angekommen und erfreut sich auch bei politischen Akteuren immer größerer Beliebtheit.

Im Vorfeld von Wahlkämpfen hat sich eine wahre Remix- und Adbusting-Kultur etabliert. Kannst du sagen woran das liegt?

MF: Zum einen glaube ich dass die Netzkultur an dieser Stelle auch die analoge Kultur stark beeinflusst hat. Der Remix ist ja einer der zentralen Bestandteile der Netzkultur. Durch unzählige beliebte Mems und tumblr wie kim jong-un looking at things ist die Lust an der kreativen Umgestaltung existierender Werke gestiegen. Zudem haben dialogische Elemente der Online-Kommunikation wie Kommentare unter Nachrichtenartikeln, Bewertungsfunktionen in Onlineshops aber auch klassische soziale Netzwerke eine neue Dialogkultur entwickelt … und die führt eben dazu, dass wir nun auch im öffentlichen Raum mehr unsere Meinung öffentlich machen. Das sieht man zum Beispiel an der Zunahme von Flashmobs, Instagraminszenierungen, Stickering oder Projekten wie Barbara. oder Zettelgold. Und zweitens sind Kampagnenmacher immer wieder herausgefordert neue Reize zu setzen. Das klassische Wahlplakat – Portrait einer KandidatIn vor rotem Hintergrund  – ist quasi tot. Das fällt bei den vielen visuellen Botschaften im öffentlichen Raum nicht mehr auf. Hier braucht es neue Reize für den Passanten.

Remix und Plakat-Mashups vom Paplament

Bei den Parteien ist ein Strategiewechsel zu erkennen. Früher wurden alle kreativen Bustings sofort zur Anzeige gebracht, heute posieren die Kandidaten vor dem Plakat und posten ein Foto in den Sozialen Medien. Wie kommt das?

MF: Das beobachte ich auch. So wie sich die Gesellschaft verändert, verändern sich auch Institutionen wie Parteien, es dauert allerdings manchmal etwas länger … aber da ist Bewegung drin. Parteien, aber noch viel stärker einzelne Kandidaten haben erkannt, dass es zielführend und erfolgreich sein kann selbstironisch und selbstbewusst mit der „Sachbeschädigung“ umzugehen solange sie nicht rufschädigend oder vernichtend ist. Gerade weil dadurch unerwartete Motive entstehen, die auch Anhänger zum schmunzeln verleiten, lässt sich mit einem Adbusting eine zusätzliche emotionale Ebene schaffen, die wiederum Sympathien erzeugen kann.  Adbustings erzeugen zudem eine erhöhte Aufmerksamkeit wie zum Beispiel in meinem Blog. Dadurch werden Medien und „das Netz“erst auf die  Kandidaten aufmerksam. Ich bekomme immer wieder Emails von Politikern deren Plakate ich präsentiert habe, die sich für die riesige unbezahlbare Reichweite bedanken, die ich ihnen verschafft habe.

Gibt es eine bestimmte Zielgruppe von Wahlplakat-Adbustings? Wo und bei wem kommen die modifizierten Plakate besonders gut an?

MF: Ich weiß gar nicht ob man das soziodemographisch abgrenzen kann? Ich glaube unter den Fans sind sowohl die Alt-68erin kurz vor dem Rentenalter, der Anzugträger aus der Anwaltskanzlei, genauso wie der jugendliche Punk, der noch nie gewählt hat. Vom Gefühl her sind AdBustings aber mehr im urbanen Raum verbreitet, das hat aber auch eher mit dem kreativen Potential von Ballungsgebieten zu tun, weniger mit den Rezipienten.

Dann ist es eigentlich auch nur noch eine Frage der Zeit bis die erste Partei auf die Idee kommt eine Agentur zu beauftrage, die ihre eigenen Plakate in einer “Guerilla-Aktion” bustet. Oder?

MF: Ganz im Ernst: Ich habe schon in mehren Wahlkämpfen Parteien empfohlen mindestens ein Motiv zu entwerfen, dass das Potential für AdBustings hat und das dann gegebenenfalls im Netz viral gehen kann. Das haben Parteien definitiv auf dem Schirm. Bei den Piraten und auch bei Die Partei gehören Plakate im Stil von AdBustings ja bereits zum Standard der Kampagne .  Auch habe ich schon von Volksparteien gehört, dass eigene Leute aktiviert werden um Plakate „über Nacht“ zu busten, die man dann in Social Media posten kann, um eben die besagten Effekte zu erzeugen.

Der Wahlkampf findet immer mehr im Netz statt. Verliert das klassische Wahlplakat im öffentlichen Raum an Bedeutung?

Das glaube ich nicht. Auch wenn sich das Informationsverhalten der Wähler in den vergangenen Jahren drastisch verändert hat – so informieren sich zum Beispiel schon weit über 50% der Wähler via Social Media über politische Inhalte – wird es aber auch in 20, 30 Jahren noch den klassischen Plakat- und Marktplatz-Wahlkampf geben. Persönlicher Kontakt und direkter Offline-Dialog ist mit nichts zu ersetzen. Zudem würden Parteien die auf Plakate verzichten direkt in das sogenannte Plaktierungsdilemma trudeln. Bedeutet, das man als Wähler die Partei, die auf Plakate verzichtet, nicht mehr auf dem Schirm hat, weil sie im öffentlichen Raum nicht mehr präsent ist. Auch wenn man nie bewusst auf die Plakate schaut. Die Logos und vielleicht noch der Name des Kandidaten bleiben bei vielen Leuten dann doch unterbewusst hängen, wenn man 6, 7 Mal an einem Plakat vorbeigelaufen ist. (siehe dazu auch). Und es braucht ja die Offline-Plakate, um wiederum Inhalte für das Netz zu produzieren. Wo sollen denn sonst die Adbustings herkommen?

Vielen Dank für das Interview.

12952896_1076920235700904_1683829021_oÜber Martin Fuchs. Martin Fuchs berät Regierungen, Parlamente, Parteien und Verwaltungen in digitaler Kommunikation und beobachte seit über 15 Jahren Wahlkämpfe. Seit 2008 ist er Lehrbeauftragter für Public Affairs an der Universität Passau und Dozent für Social Media und Politik an weiteren Hochschulen. Zudem ist er Gründer der Social-Media-Analyse-Plattform Pluragraph und bloggt über digitale Kommunikation in Politik und Verwaltung unter www.hamburger-wahlbeobachter.de.

Titelbilder: Linkes Bild: Maltejk / Rechtes Bild: C. Rösinger. Vorletztes Bild: Die Partei. Letztes Bild: Martin Fuchs

Rudolf

Gründer von Urbanshit. Brennt für Urban Art seit dem er denken kann. Lebt und arbeitet in Hamburg.

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Rudolf

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